So viel Kooperation muss sein

Jörg Kronauer • An die Erdgasvorräte Sibiriens kommt Deutschland nur über Zusammenarbeit mit Russland

Jörg Kronauer, Soziologe und freier Journalist mit den Schwerpunkten Neofaschismus und deutsche Außenpolitik. Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com

Jörg Kronauer, Soziologe und freier Journalist mit den Schwerpunkten Neofaschismus und deutsche Außenpolitik. Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com

Das nächste NATO-Großmanöver läuft. Am vergangenen Sonntag hat die Verlegung von 2 500 deutschen Soldaten begonnen. Zunächst geht‘s mit 70 Panzern sowie mit 600 weiteren Fahrzeugen auf den Truppenübungsplatz Oberlausitz; von dort wird die Reise zum Truppenübungsplatz im westpolnischen Zagan fortgesetzt. „Noble Jump“, so der Name des Manövers, hat zum Ziel, die Reaktions- und Verlegefähigkeit der NATO-„Speerspitze“ zu testen und zu optimieren – derjenigen Einheit des westlichen Bündnisses also, die im Konfliktfall als erste in die Schlacht ziehen soll. In Zagan werden die deutschen Soldaten dann mit Truppen aus anderen NATO-Staaten zusammengeführt. Auch wenn die „Speerspitze“ theoretisch überall eingesetzt werden kann: Ihre Hauptstoßrichtung geht – „Noble Jump“ bestätigt es einmal mehr – gen Osten, gegen Russland. Die Bundeswehr führt die „Speerspitze“ in diesem Jahr, und Berlin beteiligt sich auch sonst nach Kräften an der Aufrüstung gegen Moskau.

Während „Noble Jump“ im Machtkampf des Westens gegen Russland die militärischen Instrumente schärft, erhöht Washington den Druck auf Moskau auch ökonomisch. Im Senat wird ein Gesetzesvorhaben vorangetrieben, das die Erdgaspipeline Nord Stream 2 ins Visier nimmt. Es sieht Sanktionen gegen Unternehmen vor, die seltene Spezialschiffe für den Bau der Leitung bereitstellen; damit soll das Vorhaben noch in letzter Minute gestoppt werden. Wenngleich Washingtons Sonderinteresse am Verkauf des seit gut drei Jahren exportierten US-Flüssiggases eine Rolle spielt: Dass die Sabotage von Nord Stream 2 die Stellung des westlichen Bündnisses im Machtkampf gegen Russland weiter stärken würde, steht außer Frage. Diesmal aber macht die Bundesregierung nicht mit. Moskau liefere den Rohstoff seit Jahrzehnten verlässlich, heißt es regelmäßig in Berlin; es gebe keinerlei Anlass, die enge Erdgaszusammenarbeit mutwillig zu beschädigen. So viel Kooperation mit Russland müsse schon sein.

Was nun – Konfrontation oder Kooperation? Die Antwort lautet: beides. Moskau hat, indem es nach der Eskalation des Ukraine-Konflikts die Krim aufgenommen hat, nicht die Grenzen in Europa zum ersten Mal seit 1990 gewaltsam verändert; das hat die NATO in Jugoslawien getan. Es hat damit aber erstmals Vollmachten für sich in Anspruch genommen, die die NATO-Mächte eigentlich für sich reserviert hatten – in Ausübung ihrer globalen Dominanz. Das geht nicht nur Washington, sondern auch Berlin massiv gegen den Strich; schließlich ist die Bundesrepublik immer noch dabei, ihre Macht in Osteuropa auszudehnen – und das will sie ohne Rücksichtnahme auf Moskau tun. Unabhängig davon setzt sie weiterhin alles daran, einen möglichst direkten Zugriff auf die riesigen Erdgasvorräte Sibiriens zu erlangen. Das aber geht im Moment nur in Zusammenarbeit mit Russland. Also muss man das Erdgas und die Pipelines vom Machtkampf gegen Moskau ausnehmen. Außenpolitik richtet sich nicht nach logischer Stringenz, sondern nach der Gewichtung widersprüchlicher Interessen.

Treibt man damit nicht einen Keil in das transatlantische Bündnis? Nein. Generalsekretär Jens Stoltenberg hat zwar Anfang April bei den Jubiläumsfeiern zum 70. Gründungstag der NATO zur Geschlossenheit gemahnt. Die ist tatsächlich durch mehrere Faktoren bedroht, nicht zuletzt dadurch, dass Berlin und die EU auch militärisch nach Eigenständigkeit streben, was ihnen die Möglichkeit zu Kriegen unabhängig von den Vereinigten Staaten eröffnen soll. Diese Möglichkeit aber würde die Bedeutung der NATO durchaus mindern. Die Absicht dagegen, Moskau machtpolitisch in die Schranken zu weisen, teilt der „europäische Pfeiler“ des Kriegsbündnisses mit seinem nordamerikanischen Partner. Umstritten ist lediglich, ob Deutschland Sondergeschäfte mit Russland tätigen darf, um seine Energieinteressen zu befriedigen. Das tangiert die Frage, wie eigenständig Berlin operieren kann. Ein Abrücken von der gemeinsamen Frontbildung gegen Moskau ist es nicht.

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"So viel Kooperation muss sein", UZ vom 31. Mai 2019



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