Die unter „zauberhaften“ Bedingungen stattfindende Leichtathletik-WM in Katar hat ein Thema, das die Verantwortlichen gerne unter die Tartanbahn verbannen möchten: Mehrere Athletinnen dürfen nicht starten, weil ihr Testosteron-Spiegel über dem Grenzwert von 5 Nanomol pro Liter Blut liegt. Diese vom Internationalen Verband IAAF unter ihrem Vorsitzenden Sebastian Coe festgelegte Regel will einer „Chancengerechtigkeit“ den Vorzug geben vor dem Grundsatz, dass niemand diskriminiert werden darf.
Hier geht es nicht um Doping, nicht um eine unerlaubte Leistungssteigerung durch Anabolika, EPO-Blut und andere Möglichkeiten, hier liegt eine Situation vor, die auf biologischen „Anomalien“ beruht. Geschätzt 5 bis 7 Prozent aller Mädchen und Frauen weisen solche erhöhten Testosteron-Werte auf. Das hat nichts mit Sport und nichts mit ihrer Herkunft zu tun. Die Mädchen und Frauen mögen darunter leiden, dass sie eine tiefe Stimme und einen kräftigen Knochenbau haben, sie sind und bleiben biologisch und auch in ihrer psychischen Verfasstheit zugehörig dem weiblichen Geschlecht. Ob sie unglücklich sind, weil sie bestimmten – eher von Männern gewünschten – Vorstellungen nicht entsprechen, hat mit den sozialen und politischen Verhältnissen zu tun, in denen sie leben. Ob ein Arzt der jungen Frau dazu raten soll, Medikamente einzunehmen, um den Grenzwert zu senken, ist umstritten, denn die langfristigen Folgen einer solchen Dauermedikation sind noch völlig unbekannt.
Die Haltung des IAAF ist skandalös, denn mit der Behauptung, dass solche erhöhten Werte die Chancengleichheit gefährden, wird Druck auf die Mädchen und jungen Frauen ausgeübt, der durch die schwammige Vorstellung der „Gleichheit“ nicht begründet werden kann und darf. Der IAAF verlangt von den Sportlerinnen, dass sie bereits sechs Monate vor einem Wettkampf den Testosteronspiegel unter den Grenzwert senken, um überhaupt zugelassen zu werden. Noch entsetzlicher ist der Vorschlag, der durch Dokumente belegt ist, eine andauernde, irreversible Methode zur Absenkung anzuwenden. Diese nennt sich Gonadektomie, die Entfernung innen liegender Hoden durch einen operativen Eingriff. Eine riskante medizinische Maßnahme, mehrere Fälle sind bekannt, wonach solche Sportlerinnen nach der OP nicht nur unter schweren psychischen Störungen litten und weiterhin leiden, sondern dass sie auch körperlich so geschädigt sind, dass an Spitzensport nicht mehr zu denken ist.
Die Verantwortlichen des IAAF stellen sich dumm, verweigern Antworten oder winden sich damit heraus, sie hätten doch nur Studien zu dem „Problem“ in Auftrag gegeben. Dass einige Ärzte daraufhin solche schwerwiegenden, medizinisch nicht zu begründenden, Operationen durchführten, sei weder von der IAAF gewusst noch gefördert worden. Die immer wieder viel diskutierte Kernfrage lautet: Warum wird bei Leichtathletinnen eine bestimmte natürliche Anomalie solch einer Regel unterworfen, andere – man stelle sich eine Diskussion über die Körpergröße bei Basketball- oder Volleyballspielerinnen vor – dagegen nicht? Die Regel des IAAF gilt nur für die Mittelstreckenlauf-Disziplinen, Caster Semenya aus Südafrika dominierte jahrelang die Strecken zwischen 400 und 1 500 Meter. Sie weigerte sich, solche „Behandlungen“ zu machen und ist seitdem gesperrt. Interesse daran hatten afrikanische Verbände (Kenia und Äthiopien) und natürlich der US-Verband, im Schlepptau der britische Verband. Mediziner und Psychologen halten Eingriffe in den Hormonhaushalt des Menschen für riskant, die Regeln von Sportverbänden rechtfertigten diese nicht, geschweige denn die Interessen einzelner Verbände.