So eine schöne Wohnungsnot

Anreize für Investoren sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems

Als mit dem Ende des Jahres 1989 die sogenannte Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft wurde, markierte dies einen Wendepunkt in der Wohnungspolitik der Bundesrepublik. Denn bis dahin gab es über Jahrzehnte hinweg ein gewisses Verständnis nicht nur von der Notwendigkeit juristischer Eingriffe in die Wohnungsmärkte einerseits, sondern auch der Förderung eines gemeinnützigen – also der reinen Profitlogik entzogenen – Sektors der Wohnungswirtschaft andererseits.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich die Wurzeln gemeinnütziger Wohnungsunternehmen verfolgen, denen allerdings erst 1930 durch Verordnung und dann 1940 durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) eine einheitliche Grundlage gegeben wurde. Die im WGG geregelte und in der BRD dann weiter gültige Gemeinnützigkeit schränkte die ihr unterworfenen Unternehmen hinsichtlich des Tätigkeitsfeldes, der Miethöhe und der Gewinnausschüttung ein. Sie war zudem mit einer Zweckbindung des Vermögens verbunden, das beständig in den Wohnungsbestand bzw. Neubau reinvestiert werden musste. Im Gegenzug war Steuerbefreiung versprochen.

Die staatlich sanktionierte Gemeinnützigkeit war dabei sicherlich keine reine Philanthropie, ebenso nicht die massiven Mittel, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in den Sozialwohnungsbau flossen. Es waren Eingriffe in den Markt, basierend auf der lange vorhandenen Erkenntnis von der Unfähigkeit der kapitalistischen Wohnungswirtschaft, alle Menschen mit halbwegs annehmbaren Wohnungen zu versorgen. Dies aber wiederum hatte mindestens zwei gravierende Nachteile. In der unmittelbaren Systemkonkurrenz konnte sich das Schaufenster des Westens keine Wohnungsnot leisten, die den Sozialismus mehr versprechend hätte aussehen lassen. Noch grundlegender war der Aspekt, dass eine industrielle Produktion auch ihre notwendigen Bedingungen in der Reproduktionssphäre hat. Ohne Arbeitskräfte kein Betrieb – und eben jene mussten auch irgendwo wohnen. Diese simple Formel materialisierte sich dann im Werkswohnungsbau, den die großen Industriekonzerne ebenso wie die staatlichen Unternehmen, zum Beispiel Bahn und Post, betrieben.

Diese Sicht auf die Dinge ändert sich nachhaltig mit dem Siegeszug der neoliberalen Gegenreformation unter Thatcher-Reagan-Kohl, die auf Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung setze. Für diese Positionen war der Skandal der Neuen Heimat in den 80er Jahren natürlich ein gefundenes Fressen. Dieser diente als Argumentationshilfe für die Demontierung der Gemeinnützigkeit wie auch anderer staatlicher Instrumente und Reglementierungen. Die Wohnungsfrage wurde fortan als gelöst betrachtet, zumal man sogar auf steigende Leerstände verweisen konnte. Die Industriekonzerne, die über große Wohnungsbestände verfügten, sahen deren Notwendigkeit nicht mehr gegeben und die eigene Wohnungssparte nun eher als Hindernis.

Dieser Kurs wurde selbstredend auf dem Gebiet der kurz danach angeschlossenen DDR mit noch größerem Eifer verfolgt. In den kommenden Jahren sollten weitere Gesetzesänderungen im Steuer- und Unternehmensrecht dafür sorgen, dass die Werkswohnungen ohne große Steuerbelastung verkauft und öffentliche Wohnungsunternehmen privatisiert werden konnten. Hunderttausende Wohnungen wechselten den Besitzer. Sie bilden heute das, was Mieterinnen und Mieter als Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG und Co. fürchten.

Von der ehemaligen Gemeinnützigkeit sind nur noch einige Wohnungsgenossenschaften und abhängig von der kommunalpolitischen Lage einige kommunale Wohnungsunternehmen geblieben, die sich den Zielstellungen weiter verpflichtet fühlen. Der soziale Wohnungsbau, nunmehr Ländersache, erlebt seit Jahren eine Talfahrt sondergleichen. Erheblich mehr Sozialwohnungen fallen aus der Bindung als neue gebaut werden. Das verknappt das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ebenso wie die Spekulationsmilliarden, die allerspätestens mit der Weltwirtschaftskrise seit 2008 die deutschen Wohnungsmärkte entdeckt haben und sich seit Jahren in einer Goldgräberstimmung sehen.
Der Blick in die Geschichte lohnt, wenn die aktuelle Wohnungsnot verstanden werden soll. Sie kam nicht plötzlich daher, sondern ist durch Entscheidungen in Gang gesetzt worden, die teils Jahrzehnte zurückliegen. Ihr Kern liegt in der kapitalistischen Organisation der Wohnraumversorgung, die Wohnbedürfnisse nur akzeptiert, wenn sie als Nachfrage zahlungskräftig daherkommen. Das aber ist Marktwirtschaft und insofern laufen Lösungsformeln, die lediglich auf die Stimulanz des Marktes, den Anreiz für Investoren abzielen, schon prinzipiell fehl.

Im Gegenteil muss konstatiert werden, dass die Ausweitung der ungehemmten Profitlogik in der Wohnungswirtschaft maßgeblich zur heutigen Misere beigetragen hat. Es trägt einen zynischen Beigeschmack, wenn vor allem die aus der Gemeinnützigkeit hervorgegangenen Wohnungskonzerne Vorreiter bei der Auspressung der Mieterschaft sind. Wenn sie und die Heerscharen von Investoren heute nach „Bauen, bauen, bauen“ schreien und damit Kostenreduzierung durch weniger Vorschriften und Verscherbeln öffentlicher Grundstücke meinen, dann liest man nicht einmal im Kleingedruckten etwas von preisgebundenen Wohnungen.

Es ist der Bock, der hier zum Gärtner gemacht wird. Einer, der gerne ganz generös ein paar Wohnungen baut, um sie teuer zu vermieten oder zu verkaufen, zeitgleich die Bestandsmieten in die Höhe treibt und sich dennoch ungeniert den Schein des Wohnungsnotretters gibt. Das Wehklagen über die Wohnungsnot kennt eine Menge Krokodilstränen, denn sehen wir es doch so: Was kann es Schöneres für einen Investor geben als eine ordentliche Wohnungsnot?

Erschienen in der UZ vom 5. April 2019

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