Am vergangenen Freitag legte Jens Spahn, noch Gesundheitsminister des letzten Kabinetts Merkel, den Termin seiner Pressekonferenz auf 20 Uhr. Die Redaktion der ARD-Tagesschau, die seit Urzeiten um acht Uhr abends beginnt, war folgsam genug, um sich live zuzuschalten. Der geneigte Fernsehgucker hatte also das Vergnügen, zu sehen und zu hören, wie Spahn seine Fehlentscheidung, den Impfstoff von Astra-Zeneca nicht mehr zu spritzen, minutenlang rechtfertigte, um schließlich zu sagen, dass er nun weiter verimpft werden dürfe. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) habe das Verbot empfohlen, er habe nicht anders handeln können, sagte der Minister. An den Argumenten für oder dagegen hatte sich nichts geändert. Nur galt nach einer Stellungnahme der EU-Medizinbehörde EMA plötzlich als entscheidend, dass mit dem Impfen zehntausende Corona-Tote vermieden werden könnten, denen bisher sieben Komplikationen im Zusammenhang mit dem Impfen des Astra-Zeneca-Stoffs gegenüberstünden. All das war Spahn und seinem PEI auch schon bekannt, als sie noch die gegenteilige Ansicht vertraten.
Für Spahn „ist die Pandemie ein PR-Gag“, schreibt treffend die „junge Welt“ (19. März). Das begann in der Anfangsphase der Seuche mit der Ersatzhandlung, mit öffentlichem Getöse ein Flugzeug für die Heimholung von deutschen Managern aus Wuhan zu chartern und diese einer Quarantäne zu unterziehen, anstatt das Land vor dem Virus abzuschotten. Das setzte sich fort mit der Behauptung, Masken seien wirkungslos, weil sie nicht vorhanden waren. Es folgte die kostenlose Maskenverteilung über Apotheken, bei denen Letztere einen bequemen Reibach machten. Schließlich die Ankündigung, Schnelltests würden im März überall beginnen, obwohl keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen waren. Jetzt kommt auch noch wie bei anderen Unionspolitikern der Vorwurf der persönlichen Bereicherung hinzu. Wie der „Tagesspiegel“ am Sonntag berichtete, hat das Bundesgesundheitsministerium zu Beginn der Pandemie 570.000 Schutzmasken bei der Burda GmbH bestellt – also dem Unternehmen, in dem Spahns Ehemann, Daniel Funke, die Hauptstadtrepräsentanz leitet.
„Jens Spahns Ansehen bröckelt“ schrieb die „FAZ“ bereits vor einem Jahr (23. März 2020). Es dürfte mittlerweile bei Null angekommen sein. Er ist nicht allein für das Versagen der Regierung im Umgang mit der Epidemie verantwortlich. Er ist als Gesundheitsminister vielmehr zum leibhaftigen Sinnbild des Versagens der Regierung geworden. Die politische Rechte spricht vom „Staatsversagen“. Das ist aus Sicht der wirklich Herrschenden kein falscher Ausdruck, weil dieser Staat dabei ist, seine ihm zugedachten Rolle nicht mehr zu erfüllen, den Gesellschaftsbetrieb trotz der herrschenden Ausbeutungsverhältnisse angesichts der Pandemie einigermaßen am Laufen zu halten. Da ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass es der Kapitalismus ist, der zwar nicht die Pandemie hervorbringt, aber das „Staatsversagen“ bei ihrer Bekämpfung. Völlig falsch wäre es aber, den Eindruck zu erwecken, Seuchen und Pandemien ließen sich im Kapitalismus überhaupt nicht bekämpfen. Die erforderlichen Schritte dazu werden von verschiedenen Bewegungen seit Langem als Forderungen vorgetragen. Das zugrunde gerichtete Gesundheitssystem war in unserem lieblichen Kapitalismus schon mal besser. Es kann sehr wohl verbessert werden. Ohne größeren Druck von unten allerdings nicht.
Über ein Jahr lang haben die Bürger dieses Landes die Regierungsmaßnahmen eines Jens Spahn und einer Angela Merkel zur Eindämmung des Virus hingenommen und sie zuweilen mangels einer Alternative sogar begrüßt. Das ändert sich gerade. Die Wut des Volkes, vornehmlich der Lohnabhängigen und Kleinbürger, wächst. Sie beginnt, sich gegen die übelsten Agenten des Kapitals zu richten.