Im Jahr 2018 beschloss der 22. Parteitag der DKP die Einrichtung eines Branchentreffens „Bildung und Erziehung“. Aus dem Branchentreffen heraus bildete sich vor eineinhalb Jahren ein Branchenaktiv, das sich zur Aufgabe machte, das Thema „Digitalisierung in Schule und Unterricht“ zu diskutieren. Ihre Erkenntnisse haben die beteiligten Genossinnen und Genossen in einem ausführlichen Ergebnispapier zusammengefasst, das wir an dieser Stelle in zwei Teilen abdrucken. Teil 2 erscheint in der kommenden Ausgabe von UZ.
Vorwort
Einmal abgesehen davon, dass das deutsche Bildungssystem grundsätzlich ungerecht ist und sich die soziale Spaltung im Bildungsbereich weiter zuspitzt, sind folgende Probleme nach wie vor nicht gelöst: zu große Lerngruppen, zu wenige Lehrerinnen und Lehrer, der miserable bauliche Zustand der Schulen oder auch eine mangelnde materiell–technische Ausstattung.
Seit geraumer Zeit gibt es eine von vielen Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft zum „Allheilmittel“ erklärte Lösung: die umfassende Digitalisierung aller allgemeinbildenden Schulen.
Auf Bundesebene wurde deshalb ein sogenannter „Digitalpakt“ beschlossen, der mit Milliarden Euro ausgestattet ist.
In der Diskussion geht es dabei fast ausschließlich um die Ausstattung der Schulen mit entsprechender Technik. Die vorhandenen Probleme der Digitalisierung sind weder unter sachkundiger Begleitung der pädagogischen und anderer Wissenschaften (zum Beispiel Entwicklungspsychologie, Soziologie, Neurologie und vor allem der Entwicklungsbiologie) dargestellt noch kommen Fragen der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zur Sprache.
Insbesondere für Eltern, die aufgrund begrenzter Möglichkeiten ihren Kindern bei der Aneignung von Schulwissen wenig Hilfen geben können, ist die Qualität der schulischen Bildung besonders wichtig. Sie hoffen, dass ihre Kinder, ausgestattet mit solidem schulischem Grundwissen, im späteren Erwerbsleben bessere Chancen haben werden als sie selbst. Allerdings ist es empirisch (das heißt aufgrund von aus Erfahrung gewonnenen Erkenntnissen) längst belegt, dass Kinder aus den sogenannten unteren – „bildungsfernen“ – Schichten kaum den von Vielen erträumten sozialen Aufstieg jemals schaffen können.
Kann die Digitalisierung die Lage verändern?
Gerade für uns Kommunistinnen und Kommunisten ist es wichtig, dass wir die Digitalisierung immer wieder am Prüfstein der Allgemein- und Geistesbildung sowie der Chancengerechtigkeit messen, um zu verhindern, dass das Denken auf das Anhäufen von Wissen mittels formalisierter Algorithmen und medientechnischer Handhabung reduziert wird.
Dabei stellen wir nicht in Abrede, dass Internet, PCs, Smartphones und viele Programme innerhalb der Schulen eine wichtige Rolle einnehmen können und einnehmen müssen. Schließlich kommen die Schülerinnen und Schüler bereits vor der Einschulung mit allen möglichen elektronischen Medien in Berührung, ob sie wollen oder nicht.
Ohne Zweifel kann die Digitalisierung eine Bereicherung der Methodenvielfalt innerhalb des Erziehungs- und Bildungsprozesses sein, eine Ergänzung zur Gruppenarbeit und beim Umgang mit Büchern und Realbegegnungen, das heißt der Erforschung der Welt außerhalb des eigenen Unterrichtsraums.
Im gegenwärtigen einseitigen Hochjubeln der Digitalisierung als Königsweg werden aber gravierende Probleme ausgeklammert oder schöngeredet.
Diese oder ähnliche kritische Auffassungen finden sich auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie in vielen Kollegien und Interessenvertretungen an den Schulen – nicht nur in Deutschland, sondern auch international.
Erarbeitet wurde der nun vorliegende Text von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei, die in verschiedenen Bundesländern beruflich vor allem im Bereich der allgemeinbildenden und beruflichen Schule sowie im vorschulischen und universitären Raum seit Langem tätig sind.
Grundsätzlich ist die DKP der Auffassung, dass Fortschritt in Wissenschaft und Technik zum Wohle der Allgemeinheit im Vordergrund stehen muss. Dabei werden wir uns auch in Zukunft nicht von vordergründigen, kurzlebigen Interessen einer Handvoll IT-Konzerne – zum Beispiel Apple, Microsoft, IBM, Meta (mit Google, Facebook, Instagram) und Adobe – und deren Interessenvertretungen in Wirtschaft und Politik leiten lassen, sondern versuchen, mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse Klarheit in die Diskussion zu bringen.
Im nachfolgenden Text geht es darum, die Umsetzung der Digitalisierung im Bereich von Schule und Bildung aus unserer Sicht zu analysieren und zu bewerten.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Machen wir uns bewusst, wer in unserer heutigen Gesellschaft faktisch das Sagen hat. Wir leben im Kapitalismus und es sind vor allem die großen Konzerne, zumeist Aktiengesellschaften und Banken, die bestimmen, wie und zu wessen Vorteil die gesellschaftliche Entwicklung gesteuert wird. Es geht dabei vorrangig um die Profitmaximierung und die Verteilung des Reichtums von unten nach oben – oder anders ausgedrückt: Die Früchte der Arbeit werden von allen erbracht und deren Verteilung auf wenige eingeschränkt.
Dabei spielen die einzelnen Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen und Interessen (zum Beispiel hinsichtlich der Bildung) nur eine untergeordnete Rolle. Ihnen fällt die „Aufgabe“ zu, als Konsumenten den Absatz der Waren sicherzustellen.
Computer und Internet sind inzwischen wichtige und elementare Bestandteile der wirtschaftlichen und sozialen Struktur des kapitalistischen Gesellschaftssystems geworden. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Digitalisierung ist das universelle Werkzeug, das derzeit die technische Seite der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt.
Zu fragen ist aber auch, was die Digitalisierung für den einzelnen Menschen, sowohl für seine Persönlichkeitsentwicklung als auch für seine tägliche Beschäftigung in Beruf und Freizeit, bedeutet – in positiver wie auch in negativer Hinsicht. Die Beantwortung dieser Frage ist besonders für den Bereich der Erziehung und Bildung von großer Bedeutung, denn von ihr hängt es ab, wie und in welchem Umfang eine Digitalisierung notwendig und sinnvoll ist.
Es kann nicht bezweifelt werden, dass mit der Digitalisierung besonders im Bereich von Wirtschaft und Verwaltung enorme Vorteile zu erreichen sind. Wenn dann allerdings die Forderungen darauf gerichtet werden, so früh wie möglich die Kitas, Vorschulen und Grundschulen zu digitalisieren, so geht das bei Weitem über das Ziel einer vernünftigen Nutzung dieser Technologie hinaus. Denn Kinder und Jugendliche werden dabei in ihrer Persönlichkeitsbildung nur sehr eingeschränkt gefördert. Mehr noch: Es besteht die Gefahr, dass hierdurch eher negative Einflüsse zu erwarten sind. Aber dazu später mehr.
Was den Bildungs- und Erziehungsbereich betrifft, geht es vorrangig um die Vorbereitung künftiger Generationen auf eine digitalisierte Lebens- und Arbeitswelt. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, wie die Welt um sie herum funktioniert und wie ihr künftiges Arbeitsleben funktionieren wird. Die Aufgabe der Schule besteht in diesem Zusammenhang darin, Wissen über die Prozesse und Inhalte der Digitalisierung zu vermitteln. Dabei fällt der Medienkompetenz eine zentrale Rolle zu, da nur so eine kritische Distanz zur Digitalisierung entwickelt werden kann.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit war so viel Wissen so leicht verfügbar wie heute. Es kann auch dank Suchmaschinen unabhängig von Ort und Zeit abgerufen werden. Doch die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit dieses Wissens ist sehr ungleich verteilt. Während in den Entwicklungsländern weniger als die Hälfte der Menschen einen Internetzugang hat und in Afrika sogar nur ein Viertel, haben in den kapitalistischen Zentren mehr als 80 Prozent der Bevölkerung einen Zugang zum Internet und damit zum Wissen dieser Welt. Aber auch hier hängen die Nutzungsmöglichkeiten von Bildung und Geldbeutel ab. So wie in der realen Welt sind viele Dienstleistungen und Programme im Internet kostenpflichtig; wer sich die oft hohen Nutzungsgebühren nicht leisten kann, bleibt ausgeschlossen.
Digitalisierung in Schule und Unterricht
Digitalisierung im vorschulischen und Grundschulbereich – brauchen wir nicht!
Sinn und wichtigstes Ziel der schulischen Bildung besteht darin, die Schülerinnen und Schüler als eigenständig denkende und handelnde Persönlichkeiten zu bilden – von Anfang an und zu jeder Zeit. Dieser Prozess beginnt schon in der vorschulischen Entwicklungsphase und durchzieht die gesamte schulische Bildung und Erziehung.
Schon in der Entwicklungsphase, lange Zeit vor der Einschulung, beginnen die Vernetzungen im menschlichen Gehirn, wobei wesentliche Einstellungen nur über das sinnliche Erfassen der Lebenswirklichkeit gebildet werden. Erst die Aktivierung aller fünf Sinne sorgt für eine gute Ausbildung der Denkleistungen, auf die es für weitere Lernprozesse ankommt. Die Welt mit den Sinnen zu erfahren heißt sie auch begreifen! Es geht also um reale (Natur-, Gesellschafts-) Erfahrungen. Somit kommt für die vorschulische Bildung und Erziehung beziehungsweise Entwicklung des Kindes ein Umgang mit digitalen Medien nicht infrage.
Der Grundschule fällt dabei die Aufgabe zu, planmäßig und systematisch in die grundlegenden Kulturtechniken einzuführen und eine gute Basis für die weitere allseitige Entwicklung zu sichern.
Dies betrifft folgende Bereiche: Lesen, Schreiben, Rechnen, den musischen Bereich (Musik, darstellende Künste), den Sport sowie die Entwicklung der Motorik und Feinmotorik. Die sinnlichen Realerfahrungen sowohl des eigenen Körpers in Spiel und Anstrengung sowie auch der Natur und mit Materialien, die mit den Händen bearbeitet werden, sind Voraussetzung für praktische Fantasie und die kritische Prüfung eigener Ideen. Sie können nicht in virtuellen Wirklichkeiten erlernt werden.
Um das alles zu leisten, bedarf es keiner digitalen Programme.
Bildschirm-Medien – ganz gleich ob Smartphones, Tablets oder TV – schränken automatisch das Bewegungsverhalten der Kinder ein, da sie diese unter anderem vom Spielen in Wäldern, Parks, auf Sportplätzen und so weiter abhalten. Die nötige Hirnreifung, die eine sehr aktive und dynamische sowie notwendige Phase der kindlichen Entwicklung darstellt, wird beeinträchtigt. Wischen und Tippen der Kinder auf Smartphones und Tablets schaden der Entwicklung feinmotorischer und kognitiver Fähigkeiten.
Aus neurologischer und entwicklungspsychologischer Sicht ist dieser Prozess der Grundlegung mit etwa 12 Jahren abgeschlossen. Fehlen diese Bereiche oder Teile von ihnen, so sind diese Mängel in späteren Entwicklungsphasen nur schwer nachzuholen. Daraus ergibt sich: Für Kinder und Jugendliche bis zum 12. Lebensjahr sollte auf den Umgang mit digitalen Medien als kontinuierlicher, fester Bestandteil des Unterrichts verzichtet werden.
Digitalisierung an der Schule – wie sie nicht sein soll!
Der Umgang mit digitalen Medien, besonders dem Computer im Unterricht – so wissen wir heute aufgrund der gemachten Erfahrungen – ist verbunden mit vielerlei negativen Aspekten:
- Gefahr gesundheitlicher Schädigungen (Bewegungsmangel, Übergewicht)
- Beeinträchtigung der Fähigkeitsentwicklung in den Bereichen Lesen, Schreiben, Sprache, Motorik und Problemlösung
- Hohes Suchtpotenzial (besonders bei Kindern und Jugendlichen)
- Gefahr sozialer Vereinsamung
Wird die Digitalisierung nicht nur als ein methodisches Werkzeug zur Unterrichtsgestaltung angesehen, sondern als grundlegende inhaltliche Weiterentwicklung von Bildung und Erziehung propagiert und lehrplanmäßig sowie schulgesetzlich verankert, so wird dies auch folgenschwere Entwicklungen nach sich ziehen. Durch die Benutzung digitaler Medien, verstärkt durch ständiges Testen, werden die Schülerinnen und Schüler dazu erzogen, genau das zu tun, was Maschinen und Programme vorgeben. Eine Erziehung zur Selbstständigkeit, zur eigenen Denk- und Reflexionsfähigkeit und Eigenverantwortung sowie zu Achtsamkeit, Hilfsbereitschaft und solidarischem Miteinander tritt in den Hintergrund oder wird völlig ausgeblendet.
Digitalisierung an der Schule – wie sie sein sollte!
Dagegen gibt es natürlich auch positive Aspekte, die durchaus den zu Beginn genannten Zielen nicht im Wege stehen müssen:
- Wertvolle digitale Lehr-/Lernkonzepte können durchaus den Lernprozess unterstützen – vorausgesetzt, ein aktives und lebendiges Lernen findet durch direkte, persönliche Kommunikation und Interaktion statt. In emotionalen, sozialen und intellektuellen Aktivitäten müssen Lust am Lernen, Toleranz, Selbstwirksamkeit und Selbststeuerung des Einzelnen sowie Lernen als sozialer Prozess stattfinden.
- Werden die Computer, Tablets oder Smartphones nicht als ständige, sondern als frei wählbare Werkzeuge eingesetzt, so können sie eine methodische Ergänzung und Bereicherung im Unterricht sein.
- Bei der Interaktivität digitaler Medien geht es um mehr als den spielerischen Umgang mit Lernmedien. Interaktive Lehr-/Lernmedien unterstützen sowohl Lehrende als auch Lernende mit unterschiedlichsten Werkzeugen. Für Lehrende muss es die Möglichkeit geben, differenzierten Unterricht auch in digitalen Medien abzubilden. Sie müssen also von den Lehrenden selbst verändert und angepasst werden können. Die Lernenden müssen durch Feedback-Funktionen jederzeit die Möglichkeit haben, Unterstützung zur Bedienung, aber auch zu inhaltlichen Fragen zu bekommen. Sie erhalten in kurzen Abständen qualifiziertes Feedback zu ihrem Lernfortschritt und Hinweise zu weitergehenden Lernressourcen.
Wer künftig am Branchentreffen „Bildung.Erziehung“ teilnehmen oder einen Diskussionsbeitrag zum vorstehenden Ergebnispapier einreichen möchte, meldet sich bitte direkt bei bildung.erziehung@dkp.de