Vor zwei Wochen veröffentlichte das Gesundheitsministerium unter Leitung von SPD-Minister Lauterbach erste Eckpunkte für die im Koalitionsvertrag beschlossene Freigabe von Cannabis. Der Zeitpunkt überrascht nicht: Schließlich ist die geplante Legalisierung ein populistisches Vorhaben zur Bindung vor allem jugendlicher Wählergruppen – und jegliche Ablenkung von Fragen der Friedens- und Energiepolitik nützt dem Politbetrieb in Berlin. Zusätzlich leiteten die verschiedenen Drogenfreigaben in vielen west- und mitteleuropäischen Ländern sowie in Nordamerika in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel ein. Anstelle des „Kriegs gegen die Drogen“, den der ehemalige US-Präsident Nixon in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausrief, setzen die Regierungen der imperialistischen Zentren seit der großen Finanzkrise 2008 wieder vermehrt auf Betäubung der breiten Masse. So sind zum Beispiel viele Menschen in den USA seit Jahren mit einer riesigen Opioidkrise konfrontiert.
Auch Cannabis kann für Menschen in labilen Zuständen gefährliche Auswirkungen haben, wenn sie in rauen Mengen der Betäubung dient – vergleichbar also mit großen Mengen hartem Alkohol. Cannabis kann auch als sogenannte Einstiegsdroge dienen, also als Türöffner zu anderen Rausch- und Suchtmitteln, weil der Bezug nur auf dem Schwarzmarkt möglich ist und der Dealer neben getrockneten Blüten oft auch chemische Tabletten und Pulver vertreibt. Dieses Problem hat weniger mit den Eigenschaften des Cannabis zu tun als mit den kriminalisierten Vertriebswegen. Vor allem in konservativen Kreisen gelten Cannabiskonsumenten dennoch als Schmuddelkinder, dabei hat die Droge, in Maßen konsumiert, bekanntermaßen zahlreiche hilfreiche Effekte, zum Beispiel in der Entzündungs- oder Schmerztherapie.
So singt der Liedermacher F. J. Degenhardt in seinem „Lied für die ich es sing“ über den humanen Pastor Klaus: „Und er linderte die Pein mit Cannabis und rotem Wein“. Da ist also noch eine andere Seite jeder Droge, die erst erklärt, warum sie kultur- und zeitgeschichtlich nicht wegzudenken ist und was ihren Reiz für viele Menschen ausmacht. Dass der gelegentliche Konsum von Cannabis für viele Menschen dem Genuss einer guten Flasche Wein gleichkommt, zeigen auch aktuelle Zahlen: So geht das Gesundheitsministerium davon aus, dass ein Viertel der jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren bereits Cannabis konsumiert hat.
Mit dem vorliegenden Eckpunktepapier erzielt die Bundesregierung vor allem drei Effekte: Sie will eine Rückmeldung der EU-Kommission erwirken, um mögliche juristische Probleme beim Vorhaben des staatlichen Verkaufsmonopols der Droge zu prüfen. Sie sendet außerdem ein Signal an potentielle private Produzenten, um vor Erarbeitung eines Gesetzes zu prüfen, welche Mengen in Deutschland produziert werden könnten. Sie startet zudem eine öffentliche Diskussion bei einem Reizthema, bei welchem sie selber den Rahmen absteckt (Eckpunktepapier) und das noch zu erarbeitende Gesetz an politische Reaktionen anpassen kann.
Es ist also alles andere als ausgemachte Sache, dass die Eckpunkte schließlich die Grundlage für die erwartete Änderung des Betäubungsmittelgesetzes darstellen. Dabei ist eine entsprechende Reform längst überfällig – schließlich ist es nach Richterspruch von 1994 gängige Praxis, dass die verschiedenen Bundesländer auch verschieden an die Frage herangehen, ob sie minimale Freimengen zum Eigenkonsum strafrechtlich verfolgen oder nicht. Die mit dem geplanten Gesetz zu erwartende Rechtssicherheit ist zu begrüßen. Die von Lauterbach vorgeschlagenen Ziele zur Suchtprävention (vor allem Aufklärung und Qualitätssicherung) sind unterstützenswert. Der nun beginnende Kampf um den zu erschließenden Markt jedoch lässt noch vielfache Änderungen an den Eckpunkten erwarten.
Ob die vorgeschlagene Regelung mit Eigenanbau von zwei bis drei Pflanzen und zusätzlich staatlichem Vertrieb mit bei einer Kaufobergrenze von 20 bis 30 Gramm den Profiterwartungen standhalten wird, ist offen. Ebenso unklar ist, ob eine Begrenzung der Wirkstoffkonzentration und gegebenenfalls strengere Regeln für 18- bis 21-Jährige eingeführt werden soll. Bei all diesen Unklarheiten ist noch nicht abschließend zu bewerten, ob die Vorschläge der Bundesregierung bestehende Probleme teilweise lösen oder vor allem neue schaffen werden. Kritik aus einer Perspektive von unten sollte nicht die Droge an sich verteufeln, sondern die Reduzierung der Freiheit im Kapitalismus auf Konsumentscheidungen und die Funktion, die Drogen zur Ablenkung und Aufrechterhaltung von Ausbeutung und Unterdrückung haben. Das geplante Gesetz wird also daran zu messen sein, wie es die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten beenden will, welche Maßnahmen es zur wissenschaftlichen Aufklärung mitsamt von Suchtprävention und Werbeverboten macht.