Warum Israel die internationale Begegnungsstätte Dar Assalam im Libanon angriff

Sie suchten Schutz und fanden den Tod

Sechs Binnenflüchtlinge wurden am 9. Oktober Opfer eines israelischen Raketenangriffs ohne Vorwarnung auf die internationale Begegnungsstätte Dar Assalam in Wardaniye, südlich von Beirut. 14 wurden verletzt. Zum Glück explodierten die im zweiten Haus eingeschlagenen Geschosse nicht. Sie hätten ein Massaker unter den im angrenzenden Garten spielenden Kindern angerichtet. Ein Verbrechen, das beweist, dass die israelische Armee zivile Ziele ohne Rücksicht auf Opfer angreift. Derweil beten hiesige Medien und Regierung die israelische Propaganda von der humanen Kriegführung nach.

Die NGO „Dar Assalam für interkulturelle Begegnungen und Austausch“ ist ein Verein im Libanon mit Partnern in Deutschland und der Schweiz. Das „Haus des Friedens“ (so die deutsche Übersetzung von Dar Assalam) wurde nach dem Ende des Bürgerkriegs 1994 aufgebaut. Es wurde ein Ort der Begegnungen zwischen dem europäischen und arabischen Kulturraum geschaffen, unter anderem Ausgangspunkt für interkulturelle Reisen im Libanon und anderen Ländern. Zudem unterstützen und initiieren die Träger verschiedene soziale Projekte im Libanon.

Zu den Gesprächspartnern der Gäste im Haus gehörten unter anderem ein deutscher Botschafter, Vertreterinnen der Frauenbewegung, Gewerkschafter, Mitglieder der Libanesischen Kommunistischen Partei (LKP) und anderer Parteien, Vertreter palästinensischer Hilfsorganisationen sowie Geistliche christlicher und muslimischer Konfessionen. Nicht wenige DKP-Mitglieder bereisten von hier aus das Land.

Es gab im Haus Konzerte von Orchestern mit Musikern verschiedenster Religionen, was nicht selbstverständlich ist. Zum Erbe der französischen Kolonialmacht, die den Libanon aus Syrien herauslöste, um sich einen Vasallenstaat zu schaffen, gehört nämlich auch der Konfessionalismus, so die Aufteilung von Parlamentssitzen nach religiösem Proporz, wobei die noch knapp 30 Prozent Christen 50 Prozent davon einnehmen. Der Staatspräsident muss maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident sunnitischer und der Parlamentspräsident schiitischer Muslim. 17 Religionsgemeinschaften bilden de facto 17 Staaten im Staat, der unter anderem, kaum Sozialstaatlichkeit kennt. Auch keine Parteilisten bei Wahlen, weshalb zum Beispiel Kommunisten und andere nur auf Listen der Religionsgemeinschaft kandidieren können, in die sie hineingeboren wurden. Familien- und Erbrecht gibt es in 17 Versionen.

Vom „Haus der Friedens“ wurden für Sozialarbeiterinnen aus Palästinenserlagern Fortbildungsseminare organisiert, auch Traumaseminare. Seit Jahren gewann die Nothilfe noch mehr an Bedeutung. Auch 2023 packten Reisende Pakete mit auch aus deutschen Spenden finanzierten Lebensmitteln, die dann von der Gewerkschaft FENASOL an Menschen verteilt wurden, die bei der Explosion im Beiruter Hafen 2020 fast alles verloren hatten. Oder von der Frauenorganisation Wardah Boutross Awb, die sich auch um frühere Dienstmädchen aus Asien und Afrika kümmert, welche wegen Verarmung der Mittelschichten und galoppierender Inflation seit 2019 von ihren „Herrschaften“ auf die Straße gesetzt wurden. Kaum sonstwo ist die Diskrepanz zwischen einer kleinen Oberschicht und dem „Rest“ so krass wie im Libanon.

Wie schon 2006 im Krieg Israels gegen den Libanon fanden jetzt über 100 Menschen Zuflucht im Haus, das rein zivilen Zwecken diente. Auch damals zerstörte die israelische Armee im Südlibanon die gesamte zivile Infrastruktur, Brücken, Tankstellen, Supermärkte und so weiter, ob nun in überwiegend schiitisch, sunnitisch, christlich oder drusisch bewohnten Gebieten. Am Boden verhinderte der libanesische Widerstand, nicht alleine die Hisbollah, damals das Vordringen der Invasoren bis zum Litani-Fluss.

430702 Dar Assalam zerstoert 2 - Sie suchten Schutz und fanden den Tod - Haus des Friedens, Hisbollah, Internationale Begegnungsstätte, Israelische Kriegsführung, Libanon, Terroranschläge - Internationales
Das „Haus des Friedens“ nach seiner Zerstörung durch die israelische Armee. (Foto: Verein Dar Assalam)

Im „Haus des Friedens“ gab es nie Waffenlager oder Kommandozentralen der Hisbollah oder anderer bewaffneter Kräfte, so wenig wie in den umliegenden privaten Häusern. Die „Gefahr“ für die Herrschenden in Israel war und ist eine andere. Die Reisenden lernten dort die elende Lebenslage der Palästinenser kennen. Sie besuchten das Lager Schatila und hörten vom Massaker 1982 an bis zu 3.500 Alten, Frauen und Kindern unter der Verantwortung Ariel Sharons. Sie erfuhren von den Streubomben- und Phosphorangriffen auf libanesische Dörfer im Jahr 2006. Sie trafen auch Frauen und Männer, die als libanesische Kommunisten oder Palästinenser, aus christlichen und muslimischen Familien, gegen die israelische Besatzung im Südlibanon von 1976 bis 2000 gekämpft hatten. Sieben bis fünfzehn Jahre waren sie im KZ El-Khiam inhaftiert, das Israel im Südlibanon betrieb. Was sie berichten mussten, glich oft dem, was ältere Antifaschisten über die deutschen Konzentrationslager bis 1939 erzählten. Ein Genosse der LKP verlor in El-Khiam durch Nichtbehandlung einer Wunde ein halbes Bein. Mitglieder der DKP und andere Linke konnten genug Spenden sammeln, wodurch er in Deutschland 2009 eine Prothese bekommen konnte. Auch die Rolle der USA und Deutschlands als Waffenlieferanten war Thema im „Haus des Friedens“.

Wer im Dar Assalam war, konnte ein schönes „Land der Widersprüche und der Zedern“ (UZ vom 24. Dezember 2004) mit wunderbaren Menschen erleben und Freundschaften schließen. Man war aber auch mit den hierzulande verleugneten Teilen der Realität konfrontiert und berichtete daheim darüber. Auch deshalb halten viele die Zerstörung des Hauses für einen gezielten Terrorakt des Netanjahu-Regimes.

Weitere Beiträge im UZ-Dossier:
unsere-zeit.de/naher-osten

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Sie suchten Schutz und fanden den Tod", UZ vom 25. Oktober 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit