Wie zahllose andere Genossinnen und Genossen war in der Zeit der Illegalität der KPD auch Alois Thoma Opfer von Verfolgungsmaßnahmen. Nach Hausdurchsuchungen und kurzzeitigen Festnahmen in den 1950er Jahren wurde er 1966 verhaftet und in „Beugehaft“ genommen. Alois’ Knasterfahrungen werden in der von Werner Heinz verfassten Biographie ausführlich geschildert. Wir danken dem Autor und der VVN-BdA Ravensburg für die freundliche Genehmigung des Abdrucks des folgenden – redaktionell geringfügig bearbeiteten – Textauszugs.
Anfang 1966 wurde Alois vom Bundesvorstand der KPD zu einer Reise in die Sowjetunion eingeladen mit einer Parteidelegation. Er wäre gern mitgekommen. Doch dann kam etwas dazwischen. Alois reiste nach Berlin, mit dem Flugzeug von Stuttgart-Echterdingen auf den Flughafen Tempelhof in Berlin. Damals bedienten nur Fluggesellschaften der Westalliierten – BEA, British Airways oder Pan Am – die Linie. Er flog allein. Man konnte mit der S-Bahn nach Ostberlin fahren. Dort war die Parteizentrale der KPD. Alois war gar nicht in Ostberlin. Um Kontakt aufzunehmen mit der Partei, war das wohl nicht zwingend. Als er zurückkam, wurde er in Stuttgart auf dem Flughafen verhaftet, wegen vermuteter „illegaler Tätigkeit“: „Sie machen weite Reisen, Herr Thoma. Wo waren Sie?“ Die Ermittler dachten, er sei in Ostberlin gewesen. Er durfte nicht nach Hause weiterfahren, wurde in Stuttgart festgehalten, kam ins Gefängnis. Dort wurde er von Bundesrichter Wolfgang Buddenberg (geboren am 13. November 1911, NSDAP seit 1. Mai 1937) verhört, der zu den KPD-Ermittlungen angereist war. Man nahm an, dass Alois in der Parteizentrale in Ostberlin war. Er machte keine Aussagen, sagte sich: „Die müssen beweisen, was sie mir vorhalten.“ Das konnten sie nicht. In Stuttgart bekam er einen Anwalt, Dr. Korn. Von zehn Fingern wurden Fingerabdrücke gemacht. In der Nacht hörte er das Glockenspiel, das die Melodie „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen“ intonierte. Da Alois die Aussage verweigerte, wurde Haft angeordnet, Beugehaft. (…)
Alois wurde nach Karlsruhe gebracht. Dort befand sich das Zentralgefängnis für politisch Verfolgte, ein schönes Gefängnis, von außen jedenfalls (…). Das Gebäude, 1897 erbaut, sieht aus wie ein Museum oder Palais. Es ist nicht von einer Mauer umgeben. Von außen sieht man nur Verwaltungsräume und Gänge. (…)
In Untersuchungshaft war Alois vom 22. März 1966 bis 12. August 1966. Die Gründe einer U-Haft, Flucht zu verhindern oder das baldige Strafverfahren zu sichern, trafen bei Alois nicht zu. Alois war in Beugehaft. Er sollte etwas erzählen über die Partei, Personen und Strukturen. Er war in Einzelhaft, war isoliert, sollte so gut wie keinen Kontakt haben zu Genossen. Er wurde von einem Wärter übernommen, kam in einen großen langen Gang, flankiert von Zellen, lauter verschlossene Türen. Er verbrachte nun die erste Nacht in dem großen Bau. Im Gang brannte das Licht. Schon mit der Verhaftung war es vorbei mit der Selbstbestimmtheit. Jetzt hauste er in einer Einzelzelle, verbrachte auf den neun Quadratmetern bis zu 23 Stunden am Tag. Das Klosett befand sich ohne Abtrennung im Raum. Duschen konnte man zweimal in der Woche in einer Gemeinschaftsdusche. Um 7 Uhr war Lebendkontrolle durch einen Beamten. Dann Frühstück in der Zelle. Gegessen wurde immer dort. Die Beamten kontrollierten die Zelle, gaben das Essen aus und begleiteten den Insassen zur Befragung oder zur Arbeit. Hofgang gab es für normale U-Häftlinge für jeweils 50 Mann mit einem Beamten. Alois wurde verschiedentlich vernommen. Er sagte, sie müssten ihm beweisen, dass er illegal tätig war.
Der Besuch war eingeschränkt. Verwandtenbesuch war vorgesehen zweimal im Monat für 30 Minuten unter strenger Aufsicht. Einmal nahm Irmgard die mittlere Tochter mit. Das Mädchen, das ihm daheim immer die Hausschuhe gebracht hatte, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam, und nur mit ihm zusammen essen wollte, fremdelte jetzt und kannte ihn nicht mehr. (…)
Alois hängte eine Zeitung an die Wand, einen Artikel aus der „Frankfurter Rundschau“. Das wurde verboten. Da sagte er: „Die anderen haben nackte Frauen an der Wand, dann kann ich auch eine Zeitung aufhängen. Die bleibt dran.“ Arbeiten durfte er nicht im Gefängnis. Als er sich für die Bibliothek meldete, wurde das nicht genehmigt. Er blieb isoliert, sollte innerhalb der Anstalt keine Kontakte haben. Alles wurde kontrolliert. Von daheim brachte man ihm ein kleines Radio mit. Die Batterie war schon schwach und man konnte nur einen oder wenige Sender empfangen. So ging es bei der Kontrolle anstandslos durch. Mit neuen Batterien war der Empfang besser. Er konnte nun auch DDR-Radio hören, Frühschoppen, Radio Moskau und den Freiheitssender 904, einen DDR-Sender für den Westen. (…)
Alois konnte auch die „Frankfurter Rundschau“ lesen, bekam bisweilen Exemplare von „Offen und Frei“, eine „Wochenzeitung für die arbeitende Bevölkerung Südwestdeutschlands“. Und er las Bücher über den Schwarzwald, las Heine und lernte Goethe-Gedichte auswendig. (…) Die Politischen hatten im Gefängnis ein gewisses Ansehen. Die Gefängnisleitung wollte mit diesen Verhaftungen und der Beugehaft offenbar nicht eigentlich etwas zu tun haben. (…)
Soweit Kontakt möglich war, gab Alois den „Kriminellen“ Zigaretten, bekam den einen oder anderen Tipp, zum Beispiel wie man über die Klo-Röhre mit der Nachbarzelle „telefoniert“. Auf dem Klo konnte man Nachrichten austauschen, Toilette leerpumpen, Klopfzeichen geben und reden: „Dein Rechtsanwalt kommt.“ Einmal kam eine Delegation aus dem Landtag, um zu sehen, wie die Verhältnisse waren. Er sagte: „Ich kann mich nicht beklagen.“
Während Alois im Gefängnis war, verdiente er kein Geld, fiel das Einkommen für die Familie weg. Das traf besonders Irmgard und die Kinder. Es gab etwas Hilfe seitens der Gemeinde. Nachbarn brachten Butter und unterstützten die Familie. Ein Nachbar ließ eine Messe lesen, damit Alois wieder gesund zurückkomme. Die Kinder waren im evangelischen Kindergarten und der Pfarrer, ein Norweger, erließ in der Zeit die Kindergartengebühr. Auch von der MTU wurde die Familie finanziell etwas unterstützt. Der Personalchef teilte mit, wenn Alois nicht verurteilt werde, könne er nach der Entlassung im Betrieb weitermachen. Die MTU hatte Aufträge aus Russland. Da machte es sich nicht gut, wenn einer wegen der KPD-Mitgliedschaft im Gefängnis saß. Auch in anderen Ländern war das ein deutscher Makel. In Frankreich und Italien waren die KPs große Parteien. Dort gab es jedenfalls bei den Belegschaften wenig Verständnis dafür, dass die Partei in Deutschland verboten war. (…)
Als Alois in Karlsruhe aus dem Gefängnis entlassen wurde, musste er zuerst ins Zentrum, um dort auf einer Dienststelle etwas zu unterschreiben. Er bekam ein Taxi gestellt und kam mit dem Taxifahrer ins Gespräch. Der war Mitglied der VVN. Im Entlassungsausweis ist der Punkt „Entlassungsgrund“ durchgestrichen, mit xxx markiert. Bescheinigt wurde ihm der Besitz von 96 DM und 45 Pfennigen. Nach seiner Entlassung ging Alois zurück zur MTU. Dort war er willkommen. Man hatte kein Verständnis für die Inhaftierung. Das sei wie im Dritten Reich, sagte man. Er konnte ohne Probleme bei der MTU weiter arbeiten und blieb dort bis 1968.