Auch die 27. Ausgabe der Linken Literaturmesse war ein voller Erfolg

Sie hat sich etabliert

Raphael Fleischer

Oliver Bierhoff schießt das Golden Goal und Deutschland wird Europameister. Die Vorgängerband von Linkin Park gründet sich und Helmut Kohl ist Kanzler der Bundesrepublik. Das waren die Verhältnisse, als die Linke Literaturmesse 1996 das erste Mal in Nürnberg ihre Pforten öffnete. Was als wandernde Buchmesse durch Deutschland angedacht war, blieb beständig in der Frankenmetropole. Zum Abschluss jeder Messe wurde die obligatorische Frage gestellt: Braucht es sie noch oder lassen wir es lieber sein? 26 Jahre später, der Umzug in andere Räumlichkeiten und eine die Kulturbranche ins Mark erschütternde Pandemie später, kann man feststellen: Da ist sie aber immer noch! Im Jahr 2022 lässt sich ergänzen: Populär wie nie.

Die Linke Literaturmesse hat sich etabliert und ist nicht mehr nur für Verlage eine feste Größe im linken Kulturkalender. Sie schafft es, wie kein anderes Event im deutschsprachigen Raum die verschiedenen linken Strömungen an einem Ort zu versammeln – und dies noch in wohlgesonnener Atmosphäre. In diesem Jahr ist die Attraktivität allseits zu spüren: Jede Nische der Messehallen ist gefüllt. Die Besucher durchströmen am ganzen Wochenende die Kulturwerkstatt im ehemaligen AEG-Betrieb. Entsprechend beseelt sind tatsächlich alle Verlage bei gutem Umsatz. Wer die Gattung „Verlagsmensch“ kennt, weiß, dass das an ein Wunder grenzt. Auch die Eröffnungsveranstaltung zu „Krieg und Krise“ muss wegen Überfüllung des Vortragssaals ins Foyer übertragen werden, wo zahlreiche Neugierige den Gedanken von Reiner Braun, Susann Witt-Stahl, Christiane Reymann und Sabine Züge lauschen.

Während des ganzen Wochenendes bleiben die rund sechzig Veranstaltungen gut gefüllt. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die praktischen Themen. Dr. Manfred Sohn fordert für die UZ „Energiekonzerne enteignen“ und ein voll besetzter Saal will wissen, wie er sich das vorstellt. Direkt im Anschluss wird das Buch des Unrast-Verlages „Revolutionäre Stadtteilarbeit“ vorgestellt und erneut sind rund hundert Menschen neugierig, wie sich das praktisch umsetzen lässt. Wegen Überfüllung nicht mehr hinein können einige Interessierte am Sonntag bei Uwe Behrends Vortrag für die „junge Welt“ zum „Feindbild China“. Dazwischen kommt ein Schwung Radfahrer aus der Innenstadt mit Kuba-Fahnen zur Messe. Ihre Fahrraddemonstration anlässlich des überwältigenden UN-Votums gegen die US-Blockade hat ihr Ziel in der Literaturmesse. Dazu passend berichtet Ken Merten von seinen jüngsten Erfahrungen vom „kubanischen Sozialismus im Krisenjahr ’22“. Wem dann irgendwann der Kopf raucht, kann sich im Messecafé zurücklehnen und noch einmal die Gedanken schweifen lassen oder in eigenem Tempo durch die Ausstellung zu den NSU-Morden schlendern.

In diesem Jahr ist auch spürbar, wie sich das Messeteam bemüht, digitale Gewohnheiten zu bedienen. Durch die freiwillige Unterstützung durch Techniker und das UZ-Podcast-Team von „Halt Stand“ können rund 20 Veranstaltungen aufgenommen werden, die in den nächsten Tagen abrufbar sind. Damit macht die Literaturmesse nochmal einen großen Schritt Richtung Nachhaltigkeit. Auch wer es nicht nach Nürnberg schafft, kann sich nachträglich noch inspirieren lassen.

Für das nächste Jahr lässt sich schon einmal festhalten: Vom 3. bis 5. November wird es die 28. Edition der Tradition geben. Vermutlich in den umgebauten Räumen des ehemaligen „KOMM“ direkt am Hauptbahnhof. Wie immer kostet der Messebesuch keinen Eintritt.

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"Sie hat sich etabliert", UZ vom 18. November 2022



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