Peter Gingold erinnerte 2005 an die Rolle der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten im antifaschistischen Widerstand

„Sie gehörten zu dem Edelsten“

Angesichts des Angriffs auf die DKP, des drohenden „kalten Verbots“, erinnerten uns Silvia Gingold und Alice Czyborra, die Töchter des Kommunisten und Résistance-Kämpfers Peter Gingold, an seine Eröffnung des 17. Partei­tages der DKP 2005 in Duisburg. Darin hatte Peter Gingold eindringlich auf die kämpferische und aufopferungsvolle Rolle der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten im Widerstand gegen Faschismus und Krieg hingewiesen. Aus aktuellem Anlass dokumentieren wir seine Worte auf dieser Seite und bedanken uns für den wichtigen Hinweis.

Dass ich den ehrenvollen Auftrag erhalten habe, den Parteitag zu eröffnen, sehe ich als Würdigung der Kommunistinnen und Kommunisten meiner Generation, die gegen Faschismus und Krieg alles hingegeben haben. Für sie möchte ich sprechen, zumal unser Parteitag in dem Jahre stattfindet, in dem sich zum 60. Mal die Befreiung Europas von der Terrorgewalt des Nazifaschismus jährt – in erster Linie der Sieg der Sowjetunion über die Hitlerarmee! Die meisten Menschen verbinden mit dem 8. Mai lediglich das Ende des Zweiten Weltkrieges. Wer weiß schon, dass die Antihitlerkoalition im Zusammenwirken und mit Unterstützung der antifaschistischen Widerstands- und nationalen Befreiungsbewegungen die Hitlerwehrmacht vernichtend besiegte? In diesen Befreiungsbewegungen der Völker waren die Kommunisten die bestorganisierten, zuverlässigsten und aufopferungsvollsten Kräfte. Dies ebenso im deutschen antifaschistischen Widerstand, der gemessen an seinen Leiden und Opfern, ebenbürtig zur europäischen Résistance gehört.

85 Prozent Kommunisten im deutschen Widerstand
In der Erinnerung der Völker an ihre Befreiungskämpfe gelten die Kommunisten als die Patrioten ihres Landes, bis in die Gegenwart hochgeachtet. Hier in diesem Land sind sie diskriminiert und ausgegrenzt. Im öffentlichen Bewusstsein existiert der deutsche Widerstand fast nur in Form des 20. Juli, allenfalls noch der „Weißen Rose“ der Geschwister Scholl. Der Widerstand der einfachen Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, die meisten Kommunisten, wird bis in die jüngste Zeit verschwiegen. 1933: 360.000 organisierte Kommunisten, jeder zweite irgendwie belangt, verfolgt, verhaftet, gefoltert, Zehntausende in Zuchthäusern und KZ, Tausende zu Tode gekommen. Dokumentarisch ist es belegt: Im Widerstand waren 85 Prozent Kommunisten, 12 Prozent Sozialdemokraten, 3 Prozent aus den bürgerlichen Kreisen. „Sie gehörten in Deutschland zu dem Edelsten, was in der Geschichte der Völker je hervorgebracht worden ist, einzig getrieben von der Unruhe ihres Gewissens.“ Ein Ausspruch von Churchill 1945.

„Unser Traum erfüllte sich nicht“
Die Tragik des deutschen Widerstandes: Er führte nicht zum Aufstand. Er konnte allenfalls etwas Sand in die Getriebe der Mordmaschine streuen, aufhalten konnte er sie nicht. War doch unsere Vision, unser Traum, unsere Hoffnung, der Widerstand könnte Massen der deutschen Bevölkerung zum Aufstand führen, aus eigener Kraft Schluss mit Hitler und dem Krieg machen. War denn nicht der Erste Weltkrieg mit einer Volkserhebung, der Revolution, beendet worden? An unserer Seite hätten wir noch Millionen Zwangsverschleppte.

Unser Traum erfüllte sich nicht. An der Gedächtnisstätte des Preungesheimer Gefängnisses in Frankfurt, an der Stelle, an der die Guillotine stand, mit der hunderte Antifaschisten enthauptet wurden, stehen die Worte der Schriftstellerin Ricarda Huch: „Nicht erhob sich das Volk, denen die Freiheit und Leben zu retten, die ihre Freiheit und Leben für das Volk hingaben.“ Ich füge hinzu, auch nicht, als Millionen deutsche Soldaten fielen, die deutschen Städte sich in Trümmerlandschaften verwandelten mit hunderttausenden Toten.
Das Erlebnis, wie ich es im Aufstand der Pariser Bevölkerung haben konnte, dann inmitten von zwei Millionen jubelnden, sich gegenseitig umarmenden Menschen, die Paris selbst befreit haben, und auch später inmitten des Aufstandes der norditalienischen Bevölkerung, dieses Erlebnis gab es nicht in Deutschland. Der 8. Mai vor 60 Jahren, Deutschland und Europa vom Nazifaschismus befreit, die menschliche Zivilisation gerettet, das Morgenrot der Menschheit, diesen Jubel, der an diesem Tag ganz Europa, ja fast die ganze Welt erfasste, den gab es in Deutschland nicht. Wenn auch die deutsche Bevölkerung das Kriegsende so sehr herbeisehnte, sie empfand es nicht als Befreiung.

Errettet, erlöst, befreit, dieses Glück empfanden nur die Überlebenden des Widerstandes, der Nazikerker, der KZ, die im Exil überlebten, schließlich alle, die im Innern Gegner des Naziregimes blieben. Als ich anlässlich des 60. Jahrestages der Landung in der Normandie auf Einladung des französischen Präsidenten Chirac an der deutsch-französischen Begegnung in Anwesenheit des Bundeskanzlers teilnahm, kam ich ins Gespräch mit ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht, die der Bundeskanzler mitgenommen hatte. Als ich ihnen sagte, hier bin ich in Vertretung von Deutschen, die an der Seite der Résistance kämpften, sagten sie mir: Da haben sie gegen Deutschland gekämpft. Als ich antwortete, wir haben beigetragen, Frankreich von der Hitler-Okkupation zu befreien, zugleich war es für uns ein Kampf für Deutschland, Deutschland von Hitler und Krieg zu befreien, kam wortwörtlich die Entgegnung: „Wir wollten ja nicht befreit sein.“

Tatsächlich, sie wollten nicht befreit sein, damals haben sie wohl aufgeatmet, endlich Friede, doch als Befreiung war es nicht wahrgenommen worden, sondern als Katastrophe, als Zusammenbruch, besiegt zu sein, den Krieg verloren zu haben. Die Niederlage des Nazireichs als ihre Niederlage.

Antikommunismus wurde ­wieder Staatsdoktrin
So war dann der reibungslose Übergang vom Dritten Reich in die Bundesrepublik möglich, Ehemalige hohe Funktionäre, die ihre Fähigkeiten dem „Führer“ und der SS zur Verfügung gestellt hatten, kamen in die höchsten Stellen, der von Hitler propagierte Antikommunismus wurde wieder zur Staatsdoktrin gemacht, allerdings ohne Antisemitismus.

Wohl nicht mehr der Judäo-Bolschewismus, nur noch der Bolschewismus war die Bedrohung. Dies erklärt, warum wie in keinem anderen Land auf der Erde hier in diesem Land der Antikommunismus so tief verankert ist, dass der latente alltägliche Antikommunismus in Westdeutschland die dominierende Mentalität blieb, der die politische Mitte formierte, was den braunen Sumpf Urstände feiern lässt. Während in allen anderen Ländern die Kommunisten als Patrioten ihres Landes gelten, haftet den Kommunisten in diesem Land der Geruch des Landesverrates an, auf der Seite des Siegers gestanden zu haben.

Lassen wir nicht in Vergessenheit geraten: Die KPD war vor 1933 die einzige Partei, die klar die drohende Gefahr des Faschismus einschätzte, den Zusammenhang herstellte: Faschismus und Krieg. In meiner Erinnerung lebt, wie ich als Jungkommunist mithalf zu warnen mit Flugblättern, mit großen Lettern an die Wände gebracht: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ „Hitler bedeutet Krieg!“ In dem meistgesungenen Lied, das Weddinglied, heißt es, „drohend stehen die Faschisten am Horizont“. Hatte doch Thälmann in den letzten Jahren der Weimarer Republik versucht, diese verhängnisvolle „Sozialfaschismus­these“ aus der Partei zu bringen, leidenschaftlich, jedoch vergeblich für die Aktionseinheit mit den Sozialdemokraten appelliert. Bei allen Irrungen und Fehlern – Irren und Fehler gehören zum Leben –, wäre der Politik der KPD gefolgt worden, was wäre der eigenen Bevölkerung und der Welt erspart geblieben!

Es gibt keine andere Partei, von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet, die so sehr verankert ist in dem Kostbarsten, was es in deutscher Geschichte gab, die so sehr dem Nationalismus den Internationalismus entgegenstellt. Es gibt keine andere Partei mit einem solchen moralisch-politischen Gewicht. In diesem Geist wünsche ich einen erfolgreichen Verlauf des Parteitages.

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"„Sie gehörten zu dem Edelsten“", UZ vom 30. Juli 2021



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