70 Jahre NATO: ein Kriegsbündnis gegen Russland (und China)

Sie bleibt, was sie immer war

Von Reiner Braun

Stolz verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die europäischen NATO-Staaten und Kanada hätten seit 2016 ihre Militäretats um rund 41 Milliarden US-Dollar aufgestockt und würden bis Ende kommenden Jahres ein gewaltiges Plus von etwa 100 Milliarden US-Dollar erreichen. In den vergangenen vier Jahren habe die NATO allein 2,3 Milliarden US-Dollar in die „militärische Mobilität“ gegen Russland investiert; eine gute Viertelmilliarde US-Dollar werde nun folgen, um ein US-Waffenlager auf polnischem Territorium zu bezahlen. Nicht zuletzt stehe eine weitere Ausweitung der NATO-Aktivitäten im Schwarzen Meer bevor. Die 725 Milliarden Dollar im US-Haushalt für Rüstung und Krieg erwähnte er nicht, dankte aber Donald Trump für seine aktive Rolle. Immer wieder verwies Stoltenberg darauf, dass die NATO der russischen „Aggression aktiv“ entgegentritt. Tatsachen werden in ihr Gegenteil verdreht: als hätte nicht die NATO sich (wider Absprachen, Vereinbarungen und Verträge) nach Osten ausgedehnt, sondern Russland wäre nach Berlin marschiert, nicht die NATO entwickle ein umfassendes Raketenabwehrsystem und neue Militärbasen, sondern Russland hätte dies schon in Frankfurt/Oder und Brünn eingerichtet. Was für eine Farce – wenn sie nicht so gefährlich wäre.

Die nukleare Aufrüstung steht auch auf der Tagesordnung. Nachdem die USA den INF-Vertrag gekündigt haben, ist die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa wieder möglich. Eine endgültige Entscheidung zur weiteren atomaren Aufrüstung ist wohl erst vom NATO-Gipfel (mit Trump) in London im Dezember dieses Jahres zu erwarten.

Weitere Punkte des Gipfels, die für die deutsche exportorientierte Regierungspolitik wichtig sind, sollen sein:

H Die mögliche Aufnahme neuer Mitglieder: Hier wird immer wieder von Georgien und auch von Moldawien geredet – eine weitere Provokation gegen Russland.

H Unstrittig ist die weitere Entwicklung der globalen NATO: unter der Schwelle der engen Mitgliedschaft wird die Kooperation in Asien und Lateinamerika massiv vorangetrieben.

H Die Ausweitung der NATO-Aktivitäten im Schwarzen Meer ist schon seit geraumer Zeit im Gang. Im Jahr 2018 dehnte das Kriegsbündnis die Präsenz seiner „Maritime Groups“ im Schwarzen Meer aus. Die aktive Präsenz von mehr NATO-Schiffen, immer unter deutscher Beteiligung, soll fortgesetzt und verstärkt werden.

Auffallend ist, dass die NATO-Feierlichkeiten von der Repräsentanz, der Intensität, der Medienbegleitung und leider auch von den Protesten deutlich geringer ausfallen, als die groß herausgeputzten Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag. Dazu hat sicher die Politik von Trump mit seinem primitiven „America first“ und der hemmungslosen nationalistischen Aufrüstung beigetragen, aber auch die „militärische Emanzipation“ Europas. Hier zeigen sich immer deutlicher die Widersprüche der hegemonialen Mächte, die um Einflusszonen und Entscheidungen streiten. Die Bundesregierung ist der europäische Vorreiter dieser Politik der „strategischen Autonomie Europas“, die Militarisierung Europas der strategische Hebel.

Dazu kommen die Niederlagen der NATO in den letzten zehn Jahren, insbesondere in Afghanistan und Syrien. Sie sind an der Allianz nicht spurlos vorbei gegangen. Wir sollten aber auch nicht unterschätzen, dass die Delegitimierung der NATO, wie sie von vielen nationalen und internationale Friedensorganisationen aktiv getätigt wird, ihren Einfluss hat. Die öffentliche Meinung ist in vielen Ländern kritischer gegenüber der NATO geworden.

Es bleibt aber dabei, wir haben noch viel zu tun, bis die NATO überwunden beziehungsweise aufgelöst wird oder einige Länder individuell aus ihr ausgetreten sind. Die Proteste gegen den NATO-Gipfel in Washington waren umfassend und vielfältig, aber nicht gewaltig.

Noch ein Wort zur deutschen Regierungsposition: diese wurde von Trump und seinem Vizepräsident Mike Pence massiv kritisiert. In der Ambivalenz der deutschen Position spiegelten sich sicher die hiesigen Proteste gegen die weitere Aufrüstung wider. Einerseits will man langfristig die 2 Prozent des Brutinlandsprodukts und unterschreibt deswegen alle entsprechenden Dokumente, anderseits versucht die Bundesregierung – besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas – die Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben, wissend, wie unpopulär diese Aufrüstungspolitik ist. Selbst 48 Prozent der CDU-Wähler sind nach einer ARD-Umfrage dagegen. Deshalb auch die Lügen und das Vertuschen um den Rüstungsetat, knapp 6 Milliarden Euro werden für 2020 unterschlagen. Auch die bewilligten 1,5 Prozent sind über 60 Milliarden Euro vergeudete Rüstungsausgaben. Friedenspolitik sieht anders aus.

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"Sie bleibt, was sie immer war", UZ vom 18. April 2019



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