Und noch ein Putsch: Bereits zum zweiten Mal innerhalb von nur neun Monaten stürzten in Mali die Militärs eine Regierung, als sie Anfang vergangener Woche den Präsidenten sowie den Ministerpräsidenten in einer Kaserne unweit der Hauptstadt Bamako festsetzten und sie erst nach ihrem offiziellen Rücktritt freiließen. Beide waren erst im September infolge des Putsches vom 18. August 2020 übergangsweise auf ihre Posten gelangt. Malis Politik gerät mehr und mehr aus den Fugen: ein Desaster für die leidgeprüfte Bevölkerung, aber auch – das wäre aus deutscher Perspektive hinzuzufügen – ein schwerer Schlag für Berlin.
Mit wie üblich großem Gestus hatte die Bundesregierung vor inzwischen gut acht Jahren Truppen nach Mali entsandt, um dort – so hieß es zur Begründung – für Ordnung zu sorgen. Das Land war, wenn man so will, zu einem Kollateralschaden des von Frankreich und Großbritannien gestarteten Krieges gegen Libyen geworden. Als Muammar al-Gaddafi gestürzt wurde und Libyen im Chaos versank, waren malische Söldner, die zuvor in libyschen Diensten gestanden hatten, schwer bewaffnet heimgekehrt. Mit einer Rebellion in Nordmali hatten sie eine Kettenreaktion ausgelöst, die schließlich zu einem Marsch dschihadistischer Milizen in Richtung Bamako, zur Intervention französischer Kampftruppen und zum vor allem von Paris und Berlin getragenen Versuch geführt hatte, Mali militärisch zu stabilisieren. Frankreich übernahm die Kampfeinsätze, Deutschland sicherte sich eine führende Rolle bei der Kontrolle Nordmalis (dies unter UN-Mandat) und bei der Ausbildung malischer Soldaten (unter Flagge der EU). Wozu? Die Entstehung eines gefährlichen Unruhegebiets südlich der EU sollte verhindert werden, zumal Mali nicht nur Herkunfts-, sondern auch Transitland für zahlreiche Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ist.
Acht Jahre später ist die Bilanz katastrophal. Dschihadistisch geprägte Aufstände terrorisieren längst nicht mehr nur den Norden des Landes, sondern haben Malis Zentrum erfasst und auf Niger sowie Burkina Faso übergegriffen. Die Nachbarländer sind damit gleichsam zum Kollateralschaden des Kriegs in Mali geworden. Französische Kampfjets bombardieren Hochzeitsgesellschaften und während die Bundeswehr malische Soldaten ausbildet, begehen malische Truppen immer wieder Massaker an Zivilisten. Menschenrechtlern zufolge sind vergangenes Jahr mehr Zivilisten von Militärs umgebracht worden als von Dschihadisten. Die Korruption der Regierung von Präsident Ibrahim Boubacar Keita, der Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2013 zugesagt hatte, er werde Deutschland zu Malis „wichtigstem Partnerland“ machen, nahm im Lauf der Zeit ein solches Ausmaß an, dass nach Wahlmanipulationen im Frühjahr 2020 Massenproteste losbrachen und der erste Putsch unter Oberst Assimi Goita im Sommer von vielen bejubelt wurde. Er weckte die Hoffnung auf Besserung nach dem Sturz des korrupten, eng mit den Mächten Europas kooperierenden Regimes.
Die Hoffnung ist mittlerweile verflogen, auch wenn Goita nach dem zweiten Putsch in Aussicht gestellt hat, einen Vertreter der Massenproteste vom vergangenen Jahr zum Ministerpräsidenten zu machen. Die soziale Lage ist desolat, Gewalt und Armut grassieren, Zukunftsperspektiven fehlen. Die Mächte Europas, gegen deren Präsenz sich in steigendem Maße Protest regt, militarisieren den Konflikt weiter. Frankreich baut mit der neuen Task-Force Takuba ein weiteres Einsatzformat auf, das die Ausbildung von Sondereinheiten im Sahel durch Spezialkräfte aus der EU zum Ziel hat; Deutschland setzt die Mandatsgrenze für deutsche Militärausbilder in Mali um ein Drittel auf 600 Soldaten hinauf. Weiter wie gehabt, nur mit noch mehr Soldaten, mit noch mehr Krieg. Das ist, blickt man auf die Entwicklung der vergangenen acht Jahre zurück, ein sicherer Weg ins Desaster. Nicht ohne Grund vergleichen kenntnisreiche Beobachter die Lage in Mali schon seit Jahren mit derjenigen in Afghanistan.