Die DKP will in den kommenden Monaten ihre Strukturen verbessern

Sich selbst stärken


Auf ihrem 25. Parteitag hat die DKP beschlossen, in diesem Jahr eine Mitgliedsbuch-Neuausgabe (MBNA) durchzuführen. Nicht nur, dass die Kommunistinnen und Kommunisten in diesem Land an der Tradition der papierenen Mitgliedsbücher mit klebrigen Beitragsmarken festhalten – sie tauschen ihre Bücher auch noch in regelmäßigen Abständen aus. Was einige als altertümlich einstufen mögen, bestätigt andere vielleicht in ihrem Vorurteil, dass Kommunismus und Bürokratie eng beieinander lägen. Doch der Umtausch der Bücher ist nur die technische Seite der MBNA. Die DKP verbindet mit der Maßnahme eine ausführliche Analyse ihrer Strukturen und will daraus Schlussfolgerungen ziehen, die ihr ein besseres Eingreifen in die Klassenkämpfe in diesem Land ermöglichen. Die zentrale Aufgabe besteht in der stärkeren Verankerung der Partei in der Arbeiterklasse und der Verbesserung ihre Aktivitäten mit der Klasse. Wir dokumentieren hier Auszüge aus dem Referat von Björn Blach, verantwortlich für Organisationspolitik im Sekretariat des Parteivorstands. Gehalten wurde es im Rahmen der 2. Tagung des Parteivorstands am vorletzten Wochenende sowie bei einer Beratung der Bezirks- und Landesleitungen der DKP.

Mit der Mitgliedsbuch-Neuausgabe (MBNA) stehen wir vor einer großen Herausforderung. Die letzte Ausgabe neuer Mitgliedsbücher liegt zehn Jahre zurück. Das heißt: Wir haben mit der Durchführung keine aktuellen Erfahrungen mehr und uns fehlt ein Überblick über die organisatorischen Strukturen unserer Partei. Wir merken aber, dass viele unserer Leitungen aus unterschiedlichen Gründen überfordert sind, uns Kader fehlen und wir einiges, was wir uns vornehmen, nicht schaffen.

Mit der MBNA stellen wir uns drei Aufgaben: Wir müssen neue Mitgliedsbücher ausgeben, damit die Zettelwirtschaft aufhört – das ist die technische Seite der MBNA.

Wir müssen die organisationspolitischen Stärken und Schwächen unserer Partei kennen. Dazu haben wir beschlossen, mit jedem Mitglied ein Gespräch zu führen. Wir wollen aber auch in den Grundorganisationen und Bezirken über unsere Leitungsstrukturen diskutieren. Ziel ist es, einen organisationspolitischen Überblick über unsere Partei zu bekommen und Verbesserungspotenzial zu erkennen, um in Zukunft unsere politischen Aktivitäten besser mit unseren Möglichkeiten abzustimmen – das ist die Seite der politischen Analyse.

Auf dem 25. Parteitag haben wir neben der MBNA den Antrag „In der Klasse wirken“ beschlossen. Damit haben wir uns die Entwicklungsaufgabe gestellt, dass wir als Partei wieder stärker eine Partei der Arbeiterklasse werden müssen. Das bezieht sich sowohl auf die Zusammensetzung unserer Partei, auf ihre Verankerung in der Klasse, aber auch auf ihre politische Orientierung, auf die Vertretung von Klasseninteressen in Betrieb und Kommune – das ist die dritte Seite der MBNA, die Seite der Entwicklungsperspektive, der langfristigen Aufstellung der DKP für den Kampf um die Macht in unserem Land.

Eine Partei neuen Typs

„Die Entwicklung von Klassenbewusstsein ist die Aufgabe einer Kommunistischen Partei. (…) Im Klassenkampf wächst das Klassenbewusstsein, wächst auch die Einsicht, dass individuelle Interessen sich nicht vor das gemeinsame Klasseninteresse drängen dürfen, dass Solidarität die Voraussetzung für den Erfolg der Machtlosen und Unterdrückten ist. (…) Die Kommunistische Partei muss in sich die Formen eines Parteilebens entwickeln, die diese Einheit von Erkenntnis, Haltung und Handeln hervorbringen. Kommunistinnen und Kommunisten können nur die kämpferische Avantgarde der Gesellschaft sein, wenn sie auch deren theoretische Avantgarde sind.

Ein solches Gleichgewicht stellt sich allerdings nicht automatisch her. Die Parteiführung muss theoretische Schulung anregen und Material dazu bereitstellen, muss Diskussionsprozesse fördern, muss der Einwirkung der Basis auf die Strategie und Taktik der Partei Spielraum geben. Zentrale politische Linie und ihre Umsetzung an der Basis darf die örtlichen Initiativen nicht ersticken.“ So beschreibt Hans Heinz Holz die Rolle und Aufgabe unserer Partei in „Kommunisten heute“.

Um diese Aufgaben zu meistern, sind bestimmte Organisationsstrukturen erforderlich. Diese haben sich in der sozialdemokratischen Bewegung im Kampf mit dem Opportunismus während der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zuerst in Russland herausgebildet. Im Mittelpunkt standen dabei ideologische Fragen: Diktatur des Proletariats, Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei, Bündnispolitik, nationale Frage. Lenin entwickelte die Theorie der Partei neuen Typs, die in der Lage sein musste, die politisch-ideologische Vorhut der Klasse zu sein und die sich auf den Kampf um die Macht im Staat vorbereiten sollte.

Als DKP sehen wir uns in dieser Tradition und sind gleichzeitig Partei im Rahmen der Gesetze der bürgerlichen Bundesrepublik. Das stellt uns vor die Herausforderung, unsere Ansprüche mit den Vorgaben in Einklang zu bringen.

Demokratischer Zentralismus

Zentrales Element des Organisationsverständnisses der Partei neuen Typs ist der demokratische Zentralismus. Dabei gilt die Faustformel: so viel Demokratie wie möglich, so viel Zentralismus wie nötig. Unsere Partei wird aus einem Zentrum heraus geführt, das die Aufgabe hat, die gesamte Partei in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, insbesondere sie zur Entscheidungsfindung zu befähigen sowie die gemeinsame Umsetzung der Beschlüsse zu überwachen und kollektiv auszuwerten. Das ist ein hoher Anspruch, der sowohl ideologische Klarheit als auch entsprechende Parteistrukturen erfordert.

Wir sind davon überzeugt, dass unsere Welt erkennbar ist. Daraus können wir unser Eingreifen zur Veränderung der Welt ableiten – im Kleinen wie im Großen. Dabei gibt es aber nicht mehrere Wahrheiten gleichzeitig. Es kann sein, dass wir Zusammenhänge noch nicht vollständig erkannt haben, also wei­terforschen müssen. Was es auf Grundlage unserer Erkenntnisse nicht geben kann, sind unterschiedliche Herangehensweisen. So haben wir etwa auf dem 24. Parteitag festgehalten, dass wir noch uneins sind in der Frage der Völkerrechtswidrigkeit des russischen Eingreifens über die Donbass-Republiken hinaus, haben aber grundsätzlich die Rolle des Imperialismus betont. Wir haben unsere Erkenntnis dahingehend vertieft, dass wir es inzwischen mit einem Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland zu tun haben – und damit ist die Frage der Völkerrechtswidrigkeit in den Hintergrund getreten. Das stellt die aktuelle Wahrheit unserer Einschätzung dar, auf deren Grundlage wir unsere Politik entwickeln. Im Handeln nach außen setzt sich die DKP also dafür ein, die NATO-Aggression zurückzudrängen. Gemäß unserem Organisationsverständnis kann es keine andere nach außen vertretene Position von Gliederungen beziehungsweise Genossinnen und Genossen geben.

Dieser Disziplin ordnen sich Kommunistinnen und Kommunisten bewusst unter. Sie erwächst aus unserer Weltanschauung und der Überzeugung, dass wir im Kollektiv sowohl zu den besseren Erkenntnissen kommen als auch das einheitliche Handeln unsere gemeinsame Sache besser voranbringt.

Deshalb gibt es in der Kommunistischen Partei keinen Pluralismus. Es gibt den Streit zwischen wissenschaftlichen Positionen, der auch sachlich hart geführt werden muss. Es kann aber keine unterschiedlichen Strömungen geben.

Entwicklung der DKP

In der Praxis sind wir von diesem Anspruch noch sehr weit entfernt, auch wenn wir seit dem 20. Parteitag schon sehr wichtige Schritte gegangen sind – etwa hinsichtlich der Anwendung des Marxismus-Leninismus und der Bildungsarbeit der Partei.

Viele unserer Probleme haben ihren Ursprung in objektiven Bedingungen, sind Auswirkungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Die Angriffe auf die Lebensbedingungen führen bei immer mehr Menschen dazu, dass sie sich mit mehreren prekären Jobs über Wasser halten müssen. In anderen Bereichen ist es keine Seltenheit, dass neben dem normalen Job noch zusätzlich gearbeitet werden muss, um den eigenen Lebensstandard irgendwie halten zu können. Hinzu kommt, dass mit der Digitalisierung die Verfügbarkeit der Arbeitskräfte entgrenzt wurde. Die Armut auf der einen Seite führt zum verschärften Verschleiß der Arbeitskraft in anderen Bereichen. Infolge der ideologischen Vorbereitung der Hartz-Gesetze ist Armut zu einem Problem persönlichen Versagens gemacht worden – arme Menschen würden dem Staat beziehungsweise der Allgemeinheit auf der Tasche liegen. Deshalb wurden das persönliche Einkommen und insbesondere die individuelle Geldnot zu Tabuthemen gemacht.

Die Entwicklung der Produktivkräfte führt in bestimmten Bereichen immer mehr dazu, dass der gesellschaftliche Charakter der Arbeit und damit kollegiales, vielleicht sogar kollektives Erleben zurückgedrängt wird. Das Home-Office hat genau diese Funktion in den entsprechenden Bereichen. In vielen anderen Bereichen zwingt die Personalnot immer mehr zur Alleinarbeit und selbst die Pausenzeiten sind kurz und dienen nicht mehr dem menschlichen Austausch. Bei so viel Arbeit will man in der Pause über andere Themen sprechen. In dieser Flucht ins oft Triviale entmenschlichen die Arbeitsbedingungen dann selbst während der Pause, da es ein zentrales Bedürfnis ist, sich über die Arbeit auszutauschen.

Hinzu kommt eine Erscheinung, die wir bei der Erhöhung der Energiepreise feststellen konnten. Aufgrund der Liberalisierung der Energiemärkte haben die Menschen diese vereinzelt erlebt. Die Rechnungen flatterten nicht mehr gleichzeitig, stadt- oder zumindest straßenweise ein, sondern vereinzelt. Ein gemeinsames Erleben wird damit verhindert.

Diese Vereinzelung wird ideologisch unterfüttert mit Individualismus. Die Menschen werden auf sich selbst zurückgeworfen, es zählt nur das eigene „Ich“, das Sich-selbst-„Verwirklichen“, das sich im Extremfall für die Verwertung „optimieren“ muss. Die Ichbezogenheit verstärkt die Ellbogenmentalität und zieht sich bis weit hinein in die politischen Auseinandersetzungen: Um etwas zu verändern müssten alle nur ihr Verhalten ändern – anderes Essen, anders sprechen, andere Fortbewegungsmittel nutzen. Wer nicht mitmacht, hat es einfach nicht verstanden, ist dumm oder böswillig.

Diese Tendenzen führen gerade in der Arbeiterklasse zu vermehrter Isolierung. Probleme werden als persönliche wahrgenommen, der Kampf ums Überleben nimmt die gesamte Zeit ein. Eine politische Beteiligung, selbst in Form der Stimmabgabe bei Wahlen, wird als sinnlos empfunden. Engagement findet kaum noch statt. Wenn, dann ist es geprägt von der Ichbezogenheit: „Was bringt es mir?“ Unter diesen Folgen leiden Vereine und die gesellschaftlich sehr hoch angesehene Freiwillige Feuerwehr.

Politik und Parteien

Diese Entwicklung macht natürlich auch vor Parteien und politischen Zusammenschlüssen nicht halt. Erstere beklagen sich dann gerne über die „Politikverdrossenheit“, obwohl sie mit eben ihrer Politik maßgeblich dazu beitragen, dass Menschen Parteien nur als Organisationen für Karrieristen wahrnehmen.

In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Massenaktionen auf der Straße gegeben, waren Menschen bereit, sich für ein Thema zu engagieren. Dabei fällt auf, dass es meist um „Ein-Punkt-Bewegungen“ geht – etwa das Thema Klima bei Fridays for Future, das Thema individuelle Freiheit im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen oder das Thema Bahnhofs­umbau in Stuttgart. Hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung und ihrer Forderungen sind diese Bewegungen geprägt durch Teile der kleinbürgerlichen Mittelschichten. Es geht um die Abwehr von Einschränkungen für das Individuum, teilweise durch persönlichen Verzicht oder durch Forderungen an die Politik. Dabei wird mit angeblich objektiver Wissenschaft oder Fakten argumentiert. Immer gibt es aber auch diejenigen, die einfach die falschen Fakten „konsumieren“. Abgelehnt wird grundsätzlich Ideologie. Eine Weltanschauung meinen viele nicht zu brauchen, da sie glauben, die Instanz der Wahrheit selbst zu sein.

Schulen des Klassenkampfs?

Diese Entwicklung hat vor den Gewerkschaften nicht haltgemacht. Von oben wurde eine Versicherungsmentalität gefördert, die von der Basis dankend angenommen wird – ist es doch sehr bequem, wenn andere für einen verhandeln. Man selbst nimmt allenfalls mal am Warnstreik teil. Der größte Vorteil: Wenn das Ergebnis nicht passt, kann man auf diejenigen schimpfen, die es vergeigt haben, und sich bei Bedarf eine neue Versicherung suchen – oder man tritt aus bis zur nächsten Tarifrunde.
Natürlich gibt es objektive Tendenzen, die diese Haltung fördern. Die Gewerkschaften haben sich mit der Aufgabe des ideologischen Klassenkampfs die Suppe selbst eingebrockt. Die Ersetzung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit durch die Ideologie der Sozialpartnerschaft und Standortlogik hat die Gewerkschaftsbewegung zahnlos gemacht. Dies spiegelt sich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ist nur noch in Ausnahmefällen Teil der Schulungen. Aber es gibt Lichtblicke: Wo Kommunistinnen und Kommunisten sich in diesen Teil der gewerkschaftlichen Arbeit einbringen, gelingt es, klassenkämpferische Ansätze zu verbreiten.

Es gilt für uns, in den Gewerkschaften und um die Gewerkschaften zu kämpfen – vor allem um ihre ideologische Ausrichtung. Wo wir damit begonnen haben, ist es uns auf der unteren Ebene gelungen. Die Gewerkschaften sind nach wie vor die elementare Organisation der Arbeiterklasse.

DKP und Arbeiterklasse

Wir orientieren mit dem Antrag „In der Klasse wirken“ vor allem auf die Betriebe, da dort der Ort ist, wo die Kolleginnen und Kollegen gesellschaftlich tätig sind. Die Spaltungsideologie des Individualismus muss vom Kapital in den Betrieben aufgehoben werden, da ansonsten die gesamtgesellschaftliche Produktion mit internationaler Arbeitsteilung nicht mehr funktioniert. Im Betrieb macht die Arbeiterklasse die Erfahrung der Kollegialität und der Kollektivität – natürlich unter den Bedingungen der Herrschaft des Kapitals und der Entfremdung der Arbeit. Hier wird der Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit erlebt. Aber: Sobald das Werkstor oder die Bürotür sich geschlossen hat, trifft die arbeitenden Menschen die volle ideologische Keule. Das äußert sich nicht nur in der Form der nur noch auf Freizeit und Wochenende ausgerichteten Lebensführung, sondern ganz konkret in politischen Fragen. Diese können im Betrieb durchaus als kollektive erkannt werden, außerhalb des Betriebs sich dann aber in ihr Gegenteil verkehren – etwa Solidarität mit dem ausländischen Kollegen hier, aber Abgrenzung gegen „die Ausländer“ dort.

Vor allem in den Streikaktionen entsteht die Möglichkeit, Klassenbewusstsein „zu lernen“. Der erste Schritt dazu ist die individuelle Erkenntnis des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit – „Ich“ gegen den „Chef“. Um sich für diesen Kampf zu rüsten, kann „ich“ in die Gewerkschaft gehen. Damit entsteht die Möglichkeit, die eigenen Interessen als besondere der allgemeinen Klasseninteressen zu erkennen. Dann kann aus dem „Ich“ ein „Wir“ werden – obwohl die Herrschenden alles für das falsche „Wir“ aufbieten.

Klassenbewusstsein

Dieser Prozess ist jahrelang unabhängig vom Wirken der Kommunistinnen und Kommunisten abgelaufen. Durch gemeinsame Lebens- und Wohnverhältnisse, Arbeitervereine, betriebliche Zusammenarbeit oder Branchenstolz waren die Keimzellen des Klassenbewusstseins – das „Wir“ – in breiten Teilen der Klasse vorhanden.

Inzwischen können wir an diesen Keimzellen nicht mehr ansetzen, sondern müssen sie mit hervorbringen. Das stellt uns vor besondere Herausforderungen, die wir in den letzten Jahren zu wenig verarbeitet haben. Weil wir dazu gezwungen sind, auch das trade-unionistische Bewusstsein zu entwickeln, haben viele gewerkschaftlich aktive Genossinnen und Genossen dies nicht als zusätzliche Aufgabe, sondern alsihre Hauptaufgabe interpretiert. Vor dem 20. Parteitag wurden so – teils unbewusst – nicht nur in unsere Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, sondern auch auf anderen Politikfeldern bürgerliche Ideen in die DKP getragen. Nach der Kurskorrektur durch den 20. Parteitag haben dann einige dieser betrieblich aktiven Genossinnen und Genossen die Partei verlassen.

Dieser doppelten Herausforderung müssen wir uns bewusst sein, wenn wir jetzt auf die Betriebe orientieren. Es gilt bei der Schaffung von Klassenbewusstsein das Verhältnis von trade-unionistischem und sozialistischem Klassenbewusstsein zu bestimmen – damit wir im Kampf um die Gewerkschaft nicht in rechten Opportunismus oder linken Radikalismus verfallen.

Kommunaler Klassenkampf

Während eine Betriebsgruppe ein klares Handlungsfeld im Klassenkampf und eine feste Zielgruppe hat, haben es Wohngebietsgruppen schwer. Wir haben heute keine Wohngebietsgruppen mehr. Historisch waren sie auf Stadtteile oder Wohngebiete, zu starken Zeiten unserer Bewegung sogar auf Straßenzüge bezogen. Damit waren Zielgruppe und Aufgabe zwar nicht ganz so leicht wie in der Betriebsgruppe gefunden, aber weitaus einfacher als heute. Derzeit sind die meisten Gruppen Stadtgruppen mit einem kilometerweiten Einzugsgebiet. Auf dem platten Land müssen Genossinnen und Genossen sehr lange Fahrzeiten auf sich nehmen. In den größeren Städten haben wir teilweise Gruppen, die sich aus Genossen aus mehreren Stadtvierteln zusammensetzen oder sich auf Stadtteile konzentrieren, die größer sind als manche Stadt.

Hinzu kommt die soziale Zusammensetzung unserer Partei: Viele Genossinnen und Genossen wohnen verstreut und nur wenige in den Ballungsräumen ihrer Städte. Lange Zeit setzten viele DKP-Gruppen im Überlebenskampf auf die Zusammenarbeit im „linken Umfeld“ und gemeinsame Aktionen im Bündnis. Vor dem 20. Parteitag wurde dies in den Thesen des damaligen Sekretariats sogar als zukunftsfähige Strategie für die DKP empfohlen – das Aufgehen der Partei in Bewegungen, allenfalls noch als deren marxistisches Anhängsel. Das hat dazu geführt, dass sich viele DKP-Gruppen unbewusst in eine politische Selbstisolation in der linken Blase begeben haben. Auf der Mitgliederversammlung wurde fleißig diskutiert, um dann mit anderen „Linken“ für die Arbeiterklasse oder die „große Politik“ auf die Straße zu gehen. Die Interessen der Klasse wurden allenfalls von außen betrachtet, da bei vielen Genossinnen und Genossen außerhalb der Betriebe die Klasseninteressen nicht mehr spürbar waren. Ein Beispiel: Wir wollen das Thema Mieten besetzen, es gibt aber kaum Genossinnen und Genossen, die in einer Wohnung des Vonovia-Konzerns wohnen. Wir empfinden uns nicht mehr als Teil der Klasse, da wir bestimmte Erfahrungen nicht teilen können. Damit sind wir nicht in der Lage, an der Erfahrungswelt der Klasse anzusetzen und meinen den Werktätigen die Lösung erklären zu können.

Das hat auch dazu geführt, dass in vielen Gruppen die Lebensrealität der Genossinnen und Genossen viel zu wenig Thema ist. Wie geht es uns als Teil der Arbeiterklasse – als Opfer der Angriffe des Kapitals? Wie gehen wir damit um, unabhängig von unserer tieferen weltanschaulichen Einsicht in die Lösung dieser Probleme?

Hier liegt eine zentrale Aufgabe, die wir im Rahmen der MBNA und als Voraussetzung der Umsetzung des Antrags „In der Klasse wirken“ erfüllen müssen: Wir müssen uns in den Grundorganisationen wieder damit beschäftigen, wie wir – als Teil der Klasse – Betroffene dieses Systems sind!
Das ist nicht nur die Voraussetzung der stärkeren Fokussierung auf die Betriebe, sondern auch der erfolgreichen Arbeit in unserem zweiten Aufgabengebiet – der Kommunalpolitik. Der Genosse Vincent Cziesla hat auf dem 25. Parteitag in seinem Einführungsbeitrag zum Erfahrungsaustausch eine wichtige Orientierung für diesen Arbeitsbereich gegeben. Es muss bei unserer Kommunalpolitik um den Kampf um die Reproduktionsbedingungen der Ware Arbeitskraft gehen. Es geht auch in der Kommune direkt um die Interessen der Werktätigen: Wie sind die Bedingungen zur individuellen Wiederherstellung der Arbeitskraft sowie die Aufwachs- und Ausbildungsbedingungen der zukünftigen Arbeiterklasse?

Gleiches gilt für die Friedensbewegung. Im Mittelpunkt unseres Kampfes für den Frieden stehen die Interessen der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes. Die Lebensbedingungen der Mehrheit werden nicht erst durch direkte Beteiligung am Krieg massiv eingeschränkt: Aufrüstung geht voll zu ihren Lasten, ebenso wie der Wirtschaftskrieg gegen Russland. Erst zahlt die Klasse, dann stirbt sie für die Interessen der Reichen.

Widerstand entfachen

Dabei wollen wir keine Stellvertreterpolitik machen, sondern die Werktätigen ermutigen, für ihre Interessen gemeinsam mit uns zu kämpfen. Ansätze dafür sind zuhauf vorhanden, allerdings nutzt der Gegner sein breites Spektrum an Integrations- und Repressionsmitteln.
Empörung entsteht da, wo die individuelle Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse mit der von den Herrschenden gewollten Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse in Widerspruch gerät – etwa wenn die Energiepreise explodieren, die Werktätigen Sorge vor der nächsten Nebenkostenabrechnung haben und ihnen Politik und Medien erzählen, sie sollten kürzer duschen oder Waschlappen benutzen. Die Empörung führt zu Ärger und Wut, die über viele Kanäle abgeführt werden können – sehr beliebt sind dafür die „sozialen“ Medien. Erst wenn die Überwindung der eigenen Isolation möglich erscheint, also die individuelle Widerspruchserfahrung „vergesellschaftet“ werden kann, entsteht die Möglichkeit, dass aus der Empörung Widerstand wird. Das zeigte sich sowohl in den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen wie in den jüngsten Streiks.

Die Empörung muss vorerst auf die Erscheinungsebene beschränkt bleiben. Erst in der gemeinsamen Aktion, im gemeinsamen Widerstand, entsteht kollektive Reflexion. Diese kann zu Klassenbewusstsein werden oder im bürgerlichen Denken befangen bleiben – auch hier hat der Imperialismus zahlreiche Ventile geschaffen.

Gelingt es uns, die Erkenntnis zu vermitteln, dass es ein gemeinsames, die Interessen der einzelnen Menschen übergreifendes Interesse gibt, der gemeinsame Feind die Monopole sind, ergibt sich die Möglichkeit, die Partei gezielt und planmäßig zu stärken. Dann kann das trade-unionistische zu sozialistischem Bewusstsein organisiert weiterentwickelt werden.

Ein zentrales Moment ist also, unsere ideologische Schulungsarbeit zu verbinden mit unseren Aktivitäten vor Ort – beide aufeinander abzustimmen. Dies ist auch nützlich, da ein Zugangspunkt zu unserer Partei das Interesse an unserer Weltanschauung ist und es so gelingen kann, neue Genossinnen und Genossen an unsere praktische Arbeit heranzuführen.

Perspektive Sozialismus

Auf der ersten Seite des neuen Mitgliedsbuchs wird weiterhin als Zusammenfassung unserer Aufgaben als Kommunistinnen und Kommunisten stehen:

„Wer die Welt verändern will,
muss sie erkennen.
Wer sich befreien will,
braucht Genossinnen und Genossen.
Wer Kraft entfalten will,
muss sich organisieren.
Wer ein freies, menschliches Leben erringen, die Zukunft gewinnen will, muss kämpfen.
Die Deutsche Kommunistische Partei hat sich nicht um ihrer selbst willen gebildet.
Sie dient der Arbeiterklasse und dem Volk.
Sie wirkt mit den Arbeitern für die Arbeiter, mit der Jugend für die Jugend, mit dem Volk für das Volk.“

Das fasst die Überlegungen zur Orientierung „In der Klasse wirken“ zusammen und weist die Richtung für die strategischen Überlegungen in Verbindung mit der MBNA. In diesem Sinne gilt es, einen neuen Schritt zu einer organisierten Kraft zu machen, unsere Schwächen zu erkennen und zu verringern und unsere Stärken zu sehen und auszubauen.

Die Arbeiterklasse, die Jugend, die Frauen, das Volk, ja alle Unterdrückten weltweit brauchen eine starke DKP. Die Imperialisten, Militaristen, Faschisten, die Lakaien und Speichellecker der deutschen Monopolbourgeoisie haben nichts anderes als eine starke DKP verdient, die sich auf ihren Sturz vorbereitet.

Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen. – Lenin, „Was tun?“

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"Sich selbst stärken", UZ vom 7. Juli 2023



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