Blicken wir auf den Anfang des Infektionsgeschehens, nach Asien, so sehen wir dort verschiedene Gesellschaften die weitgehend frei vom Corona-Virus sind. In deutschen Talkshows wird das damit erklärt, dass asiatische Kulturen weniger auf individuelle Freiheitsrechte setzen und mehr Rücksicht auf das Kollektiv nähmen. Damit wird an die Erzählung angeknüpft, nach der der Kampf gegen die Pandemie durch die eigene innere Haltung und durch mein individuelles Verhalten bestimmt wird. Zum anderen wird oft, besonders mit Blick auf China, behauptet, dass wir hier ja gar nicht wissen können, ob dort Corona wirklich besiegt wurde, da deren Medien nicht unabhängig über den staatlichen Umgang mit der Pandemie berichten können – im Gegensatz zu den kritischen Berichten deutscher Leitmedien, die vor einem halben Jahr Vermutungen darüber veröffentlichten, ob Masken wirklich gegen die Ausbreitung des Corona-Virus helfen können.
Wirtschaftliche Interessen der Politik untergeordnet
Berichte der Weltgesundheitsorganisation und anderen zeigen, dass die chinesische Zentralregierung in Peking schnell auf Transparenz gesetzt hat, Vertuschungsversuche unterdrückte und ihr Wissen an die internationale Staatengemeinschaft weitergab (vgl. POSITION 2/2020). Und trotzdem wollen weder die Bundesregierung, noch politische Kommentatoren der großen Medienhäuser viel über die chinesische Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie reden. Denn China setzte auf eine konsequente Shutdown-Politik, also das Herunterfahren des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft.
Hier jedoch wird seit Monaten immer mal wieder das öffentliche Leben heruntergefahren. Die Produktionsstätten, Lagerhallen usw. sind jedoch weiterhin voll und es wird sich dicht an dicht gedrängt. Dass dort alles so konsequent stillstand, hat damit zu tun, dass die wirtschaftlichen Interessen in China der Politik untergeordnet sind. Während Kanzlerin Merkel seit Jahren für eine „marktkonforme Demokratie“ eintritt, beschreibt der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, in der marxistischen Tageszeitung junge Welt: „China hat unter anderem deswegen als erstes Land die Coronapandemie unter Kontrolle gebracht, weil es dem Menschen und dem Leben erste Priorität einräumt“.
Der wirtschaftliche Preis für den Shutdown war hoch. Das Institut der deutschen Wirtschaft meldete zu Beginn der Pandemie: „Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist die chinesische Industrieproduktion im Januar und Februar 2020 um insgesamt 13,5 Prozent eingebrochen. (…) Es ist der größte Einbruch innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte.“.
In Deutschland hingegen nimmt der Staat die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten ein. Die Kanzlerin vertritt dabei vor allem die Interessen der starken Großkonzerne. So stand sie schon zur ersten Corona-Welle an der Seite der Monopolunternehmen, z.B. aus der Automobilindustrie. Diese setzten sogar auf einen stärkeren Lockdown, weil sie ein paar Tage Umsatzeinbußen verkraften könnten – im Gegensatz zu abhängigen Zulieferern usw. Doch dazu kam es sowieso nicht. Denn der von Merkels Bundesregierung favorisierte Lockdown mit Teilschließungen gewisser Branchen, z.B. Kultur- und Event- bzw. Gastrobranche, wurde beschlossen, ohne zu klären, wie „wir das schaffen“ sollen – also wer für die Kosten aufkommen soll. Prekär Beschäftigte, Kulturschaffende und Gastro sowie Selbstständige und Studierende erleben seit Monaten am eigenen Leib wie schnell durch die wirtschaftlichen Umverteilungsprozesse nach Corona die eigene Existenz gefährdet ist – vor allem, wenn das Geschäft zugesperrt bleibt. Denn während die Kanzlerin weiterhin für noch strengere Lockdown-Maßnahmen eintritt, bleiben die versprochenen Corona-Bonus-Zahlungen und Soforthilfen oft nur Versprechungen oder im besten Fall Symbolpolitik.
Kniebeugen in der Schule, mit dem Fahrrad in den Betrieb…
Wissenschaftlich spricht alles dafür, Infektionscluster sofort zu isolieren, dafür braucht es schnelle und effektive Nachverfolgungen. Mittlerweile haben viele Gesundheitsämter aber wieder die Übersicht verloren, da die Nachverfolgung der hohen Infektionszahlen für sie oft nicht bewältigbar ist – schließlich fehlt es an allen Ecken und Enden an Personal. Um die Infektionswelle wieder zu senken, setzen viele Wissenschaftler auf einen Shutdown, wie ihn China vorgemacht hat. Doch dagegen stehen die Interessen „der Wirtschaft“, also der produzierenden und handelnden Kapitalisten. So werden wir weiterhin in den Betrieb geschickt (nach Kanzleramtschef Braun am besten mit dem Fahrrad) oder müssen in die Schule (um dort nach Empfehlung der Kanzlerin Kniebeugen gegen die Kälte machen)…
Denn in Deutschland will der Staat keine harten Maßnahmen zu Ungunsten „der Wirtschaft“ treffen. Zu dieser Wirtschaft gehört übrigens auch das Gesundheitswesen. Dieses ist in Deutschland in privaten Händen und über 330 Milliarden schwer. Das entspricht in etwa der Höhe des Bundeshaushaltes im Jahr 2018. Dass dort so viel Geld zu holen ist, hat damit zu tun, dass CSU-Seehofer und SPD-Schmid mit dem System der Fallpauschalen und der Privatisierung der Krankenhäuser unser Gesundheitssystem auf den kapitalistischen Markt geworfen haben. Es ist nun dazu da, Gewinne zu erwirtschaften.
In der Realität der Pandemiebekämpfung heißt das, dass in der ersten Welle Betten freigehalten wurden, weil das extra hoch über das Pauschalensystem vergütet wurde (Im Kapitalismus nennt man das „finanziellen Anreiz“). Nachdem im Sommer nicht mehr Personal im Gesundheitswesen eingestellt wurde, müssen nun in der zweiten Welle wieder Operationen u.ä. ohne Corona-Bezug verschoben werden. So nimmt nun zum Beispiel eine private Münchner Klinik nur noch Nicht-Corona-Fälle an, weil die im öffentlichen Klinikum eben nach hinten geschoben wurden. Eine super Möglichkeit für die Privatklinik diese OP und die Bezahlung dafür einzuschieben.
Zentrale, gesellschaftliche Planung
Wäre es da nicht besser, alle Kliniken würden gemeinsam versuchen, die Corona-Welle zu bewältigen? Die Erfahrungen der weltweiten Pandemie zeigen uns überall die Unsinnigkeit kapitalistischer Anarchie auf. Die Vorteile der zentralen, gesellschaftlichen Planung drängen sich auf. In dem Land, das die Corona-Pandemie als erstes erleben musste und mittlerweile seit Monaten hinter sich gelassen hat, wird aktuell nicht mehr viel über Corona geredet. Dafür wird viel über den Vorschlag zum 14. Fünfjahresplan diskutiert.