Der Kunde glaubt dir nicht, dass er einfach den Server neu starten muss – weil du ein Mädchen bist?“ Für den autistischen Programmierer macht das keinen Sinn. Der Systemadministrator des Kunden hat die Servicenummer des Softwareentwicklers angerufen. Katharina ist für Marketing und Support zuständig – es ist ihr Job, zu erklären, wie häufige Probleme mit der Software zu lösen sind, die ihre Firma verkauft. Nur: Der Admin am anderen Ende der Leitung glaubt ihr nicht. Für dieses Problem ist die Lösung, dass Katharina mit dem Telefon zu den Programmierern im Büro nebenan geht und sie bittet, dem Kunden dasselbe noch mal zu sagen – nun hat er es von einem Mann gehört. Der Kunde macht, was der Nerd ihm sagt. Der Nerd wundert sich.
Der Sexismus, der ihr im Telefonat mit Kunden begegnet, stört Katharina wenig: „Ich lege auf, rege mich mit den Kollegen über den Idioten auf, dann ist das auch weg.“ Der Sexismus, der ihr in Sprüchen des Chefs und im Arbeitsalltag begegnet, bringt sie dazu, nach Jobangeboten zu suchen.
Katharina ist in der DKP aktiv, sie weiß, dass Frauen am Arbeitsplatz nicht so gleichberechtigt sind, wie gegenderte Sprache und Antidiskrimierungsgesetze uns vormachen. Dass das auch heißt, dass der Kunde sie nicht ernst nimmt und der Chef erwartet, dass sie die Kaffeemaschine putzt, weil sie eine Frau ist, hat sie trotzdem überrascht.
Überrascht tut auch der Chef, als sie den Kaffeevollautomaten nicht saubermachen will: „Warum denn nicht, sie sind doch eine ordentliche Hausfrau?“ – „Nein.“ – „Sind sie unordentlich?“ – „Ich bin keine Hausfrau.“ Katharina sagt: „Ich glaube, um selbstbewusst auf solche Sprüche zu reagieren, muss dir bewusst sein, dass das nichts mit dir persönlich zu tun hat, sondern dass das halt Sexismus ist.“ Joana, eine Kollegin, hat der Chef, Anfang 60, im Vorstellungsgespräch gefragt, wie es denn mit ihrer Familienplanung aussehe. Das Arbeitsrecht verbietet solche Fragen, der Chef will keine Mitarbeiterin, die nach einem Jahr in Elternzeit geht. Die Kollegin hat ihm gesagt, dass sie keine Kinder will, sie nimmt sich die Sache wenig zu Herzen. „Ich glaube aber, so was nagt an jeder“, sagt Katharina.
Zu ihren Aufgaben in den drei Jahren, in denen sie dort arbeitet, hat gehört, die Website der Firma für Suchmaschinen zu optimieren und einen Blog zu entwickeln, der die Seite bei Google weiter nach oben bringt. Der Berater, den die Firma für die Suchmaschinenoptimierung engagiert hatte, hat nicht geholfen, Katharina hat sich selbst eingearbeitet. Der Chef ließ Katharina heraussuchen, welche Fortbildungen zum Thema der Firma helfen könnten – und schickte Andreas: „Das ist sehr technisch, Frau M., da fährt wohl besser der Herr G. hin.“ Herr G. fuhr, hat aber in der Firma andere Aufgaben, nun kümmert sich keiner um die Optimierung der Seite.
Es ist nicht nur die altbackene Vorstellung des alten Chefs, in der Frauen in diesem Unternehmen weniger wert sind als Männer. Im Arbeitsvertrag steht zwar, dass die Mitarbeiter mit ihren Kollegen nicht über ihr Gehalt sprechen dürfen. Die meisten halten sich daran, Joana und Andreas, die beiden Kollegen aus dem Vertrieb, nicht. Katharina verdient 2 050 Euro brutto. Andreas verdient 300 Euro mehr, außerdem stellt die Firma ihm ein Auto. Liegt die ungleiche Bezahlung an der unterschiedlichen Arbeit, an der höheren Verantwortung? Katharina ist die einzige Mitarbeiterin im Marketing, ihre Aufgaben lassen sich nicht gut mit denen von Andreas vergleichen. Nur: Joana macht genau dieselbe Arbeit wie Andreas – und verdient noch weniger als Katharina. Eigentlich arbeitet sie mehr als ihre männlichen Kollegen: Die geben manche Aufgaben an eine Verwaltungskraft ab, von Joana wird erwartet, dass sie den Job der Sekretärin nebenher erledigt. Liegt die ungleiche Bezahlung an der Ausbildung? Alle Kollegen, die in Verwaltung, Vertrieb und Marketing arbeiten, sind Quereinsteiger. Katharina und Joana sind unter ihnen die einzigen, die studiert haben. Die Statistik zeigt: Der Gender Pay Gap, der Unterschied in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen für die gleiche Arbeit, lag 2015 in Deutschland bei 21 Prozent. Wie gleichberechtigt Männer und Frauen in unserem Land wirklich sind, zeigt sich auch auf dem Kontoauszug.
Katharina findet diese Zustände demütigend, nur in einem ist sie sich nicht sicher: Ist es demütigend, dass sie als Frau benachteiligt wird? Oder ist es demütigend, weil sie als Mitarbeiterin die Launen und die Gehaltsvorstellungen ihres Chefs hinnehmen muss, weil der kapitalistische Arbeitsmarkt so funktioniert? Alle zwei Wochen fragt sie sich, ob sie nicht kündigen sollte, im Sommer hat sie Bewerbungen geschrieben. Nur: Katharina hat eine Ausbildung als Buchhändlerin abgeschlossen und Theaterwissenschaften studiert. Sie hat wenig Aussichten auf einen anderen Job. Sie könnte sich bei Werbeagenturen bewerben. Aber mit den Programmierern, die Dinge wie Sexismus oder Rassismus nicht verstehen, weil sie vor ihrem Bildschirm unlogisch erscheinen, arbeitet sie gerne zusammen.