Vincent Klink schreibt in seinem neuen Buch „Mein Schwaben. Leben und speisen im Ländle des Eigensinns“, er wolle nicht als „Künstlertyp“ durchgehen, weil er sich in Wirklichkeit „als ziemlicher Spießer durch den Alltag“ hangele. Sein Buch widerlegt das.
Klinks Kunst und Kunstverstand stützen sich auf enorme historische Kenntnisse: Vorzeit, Neuzeit, Gegenwart, Kunst, Literatur, Philosophie. Seinem großen Bedarf an „seriösem Schwabenfutter“ entsprechen Lesewut und sein Drang, Sehenswertes selbst zu sehen. Er durchstreift kreuz und quer „das alte Herzogtum Schwaben“, das vom Rhein bis zum Lech reichte, und beteuert, er habe „alles wirklich selbst erkundet und nicht durchs Internet zusammengeklöppelt und es war mir ein großes Glück, meine Heimat einmal genauer zu betrachten“.
Seine Herzensempfindung teilt er auf heiterste Weise mit. So entstand ein kleines Reisekunstwerk aus mehr als 35 Episoden mit besten Zutaten aus regionaler Geographie, Kultur- und politischer Geschichte einschließlich Lebensmittel- und Lebenskunde. Klink fängt ordnungsgemäß zwölf Millionen Jahre vor der Zeitrechnung an mit dem „ersten Fußgänger“, der „ein Schwäble“ war und zum aufrechten Gang fand – seit 2019 Danuvius guggenmosi genannt. Höhe- und Schlusspunkt ist Klinks Traktat: „Sonntags Brötli und Salätle. Zur schwäbischen Küche“. Ein Gaststättenverzeichnis ist angehängt, das Inhaltsverzeichnis enthält eine Übersicht über die verstreuten Rezepte von „Habermus, Schwarzes Mus“, „Flädlesupp“, „Maultaschen schwäbisch“ und „Schwäbische Kutteln“ bis zum Eiergebäck „Pfitzauf“.
Hier nur nebenbei: Übles aus der Geschichte des Landes lässt so einer nicht weg, es bewegt ihn zu sehr: Bauernkrieg, „Jud Süss“, der Dichterverfolger und Sklavenhändler Herzog Karl Eugen. Seine „ganz besondere Heldin Stuttgarts“ ist Else Himmelheber (1905 bis 1944), die als Mitglied einer Widerstandsgruppe im Konzentrationslager Dachau erschossen wurde.
Das Meiste beschreibt Klink mit einem Augenzwinkern, das Ernste ernst. Er hat unter anderem die Auffassung, dass ohne „eine große Kraft, nämlich die der schwäbischen Frau, welche die Mannsschwaben stabil hält“, aus dem Ländle nie das geworden wäre, was es ist. Das betrifft auch die schwäbische Küche, die eine (vom nahen Frankreich beeinflusste) Armen- und Hausfrauenküche sei. Das ergibt: „In der Einfachheit liegt das unverfälschte Zungenglück.“ Die Maxime teilt er nach dem Verzehr einer Forelle mit Blattspinat und Salzkartoffeln in der Tübinger „Weinstube Forelle“ mit.
Nach Klink ist es vielen Haushalten zu danken, dass diese Küche weiter gepflegt wird. Denn: „Fahre ich übers Land, fühle ich mich manchmal wie in einer Gaststätten-Nekropole, jede zweite Wirtschaft ist dauerhaft geschlossen.“ Was mit Bubble-Gum begonnen habe, sei über Steakhäuser zum Fastfood gelangt. Er ist aber sicher, dass schwäbische Lokale bald wieder aufblühen, allerdings trotz einfacher Lebensmittel mit Preisen wie in der Sternegastronomie. Keine gute Aussicht.
Beim Wein sieht’s besser aus: Gehe die bürgerliche Gastronomie in die „Zentralfritteuse“ hinab, sei der Wein „straff auf dem Weg nach oben“. Klink schreibt von „mittlerweile weltmeisterlicher Qualität“ und versucht, den Trollinger „ins rechte Licht zu rücken“. In 50 Berufsjahren seien bei ihm keine 20 Viertele zusammengekommen, aber beim Schreiben dieses Buches habe er sich ihm „als Selbstversuch“ und aus „Patriotismus“ wieder zugewendet: „… und potzblitz, es war ungelogen kein einziger mehr darunter, der mir nicht geschmeckt hätte.“ Klink berichtet mit merkbarer Andacht vom legendären Weinkonsum Hegels, der kürzlich zum Dreiliterphilosophen ernannt wurde, oder über Justinus Kerner: „Den Berechnungen des Sohnes Theobald zufolge hat sich Kerner bis zu seinem Tod im fünfundsiebzigsten Jahr ungefähr 21.000 Liter Wein einverleibt.“ Klinks Schlussfolgerung: Bis er ein großer Dichter werde, müsse er „wohl noch fässerweise Wein vertilgen“. Hier sei bescheinigt: Ist nicht nötig.
Vincent Klink
Mein Schwaben: Leben und speisen im Ländle des Eigensinns
Rowohlt Buchverlag