Ulrich Lechte prescht vor. Es ist Anfang August; der FDP-Bundestagsabgeordnete hält sich gerade zu „politischen Gesprächen“ mit dem taiwanischen Außenminister Joseph Wu in Taiwans Hauptstadt Taipeh auf, da nutzt Taiwans offizielle Nachrichtenagentur „Central News Agency“ die Gelegenheit, um ihn zu interviewen. Wie sieht Lechte, der immerhin Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags ist, die Formel „Ein Land, zwei Systeme“, die geholfen hat, Hongkong nach mehr als 150-jähriger britischer Kolonialherrschaft wieder dem chinesischen Staat einzugliedern und die Peking auch für die angestrebte Wiedervereinigung mit Taiwan vorgeschlagen hat? Davon halte er gar nichts, sagt der FDP-Politiker; die Formel sei „gescheitert“. Und überhaupt: Der Westen müsse dringend sein Verhältnis zu Taiwan überdenken. Unbedingt müsse die Inselverwaltung in die WHO und in Interpol aufgenommen werden, fährt er fort; zudem solle Taiwan wieder Mitglied der UNO werden, der es angehörte, bis die Volksrepublik am 25. Oktober 1971 als alleinige rechtmäßige Vertreterin Chinas anerkannt wurde und Taiwan damit den Status verlor. Taiwan, fordert Lechte, verdiene die Anerkennung als „unabhängiger Staat“.
Beginnt die deutsche Außenpolitik nun auch auf Taiwan zu zündeln? Man wird sehen. Dass Lechte als einfacher Abgeordneter völlig auf eigene Faust mit der „Ein-China-Politik“ gebrochen hat, an die sich halten muss, wer mit der Volksrepublik kooperieren will, ist schwer vorstellbar. Allerdings ist es in seiner Partei beinahe schon Tradition, Chinas territoriale Integrität anzukratzen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt seit Jahrzehnten tibetische Separatisten und hat deshalb bereits im Jahr 1996 ihre Repräsentanz in Peking schließen müssen. Nach Hongkong, wo inzwischen sezessionistische Kräfte erstarken, hat die FDP gleichfalls ihre Fühler ausgestreckt; in der südchinesischen Metropole unterhält ihre Stiftung eine Filiale, Parteichef Christian Lindner hat zudem im Juli einige Delegierte der Hongkonger Opposition zu Gesprächen in Berlin empfangen. Zur Stoßrichtung der deutschen Liberalen passt es, alle Bemühungen um die Wiedervereinigung Taiwans mit der Volksrepublik zu torpedieren; schließlich kann das helfen, Chinas Aufstieg zu bremsen. Und riefe Taiwan tatsächlich seine staatliche Unabhängigkeit aus – so, wie Lechte es jetzt vorgeschlagen hat –, dann stünden heftige Spannungen, vielleicht sogar ein Waffengang zwischen Peking und Taipeh bevor.
Ein Waffengang? Nun, der würde, was die taiwanischen Streitkräfte angeht, mit westlichen Waffen geführt und könnte womöglich sogar zu einer Kriegsbeteiligung zumindest der Vereinigten Staaten führen. Taiwan wird seit je von den USA aufgerüstet; zuletzt hat die Trump-Regierung einen Zahn zugelegt und Taipeh die Lieferung von 66 Kampfjets des Typs F-16 sowie diverser weiterer Rüstungsgüter im Gesamtwert von acht Milliarden US-Dollar versprochen. Washington hat im Taiwan Relations Act von 1979 festgelegt, dass jede Maßnahme gegen Taiwans Eigenständigkeit auf seinen entschlossenen Widerstand stoßen wird; das ist keine militärische Beistandsklausel, hält den USA jedoch die Legitimation für eine etwaige kriegerische Unterstützung der Insel offen. In diesem Kontext ist von erheblichem Interesse, dass die US Navy regelmäßig Kriegsschiffe durch die Straße von Taiwan schickt – Kanonenbootpolitik im 21. Jahrhundert. Auch Frankreich lässt die „Marine nationale“ einmal im Jahr die Meerenge zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland passieren. Im Juni druckte das „Springer“-Blatt „Die Welt“ einen Beitrag des US-Journalisten John Vinocur, in dem dieser nun auch für die deutsche Flotte „die Einleitung einer Marineoperation vor der Küste Taiwans“ vorschlug. Noch dringt Vinocur mit seiner Forderung in der Bundesrepublik nicht durch – ebensowenig wie Lechte. Ob das so bleibt oder ob Berlin beim Versuch, Peking Knüppel zwischen die Beine zu werfen, in Zukunft stärker Taiwan ins Spiel bringen wird, das wird sich zeigen.