Schon mancher berühmte Schauspieler scheiterte daran, dass er seine Rolle nicht von der harschen Realität des Lebens trennen konnte. Das erfuhr auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenski, als er am 20 März virtuell vor der Knesset auftrat. In seiner Rolle als Staatspräsident behauptete er, in Moskau spreche man bereits von der „Endlösung“. Der Krieg ziele auf die Vernichtung des ukrainischen Volkes ab. Die Gedenkstätte Yad Vashem kritisierte Selenski, ohne ihn beim Namen zu nennen. Solche Bemerkungen seien eine Trivialisierung und Verzerrung der historischen Fakten des Holocaust.
Nahm sich Selenski diese Kritik zu Herzen? Zwei Wochen später jedenfalls sprach er erneut über Israel, diesmal nicht in der Erinnerung an den Holocaust, sondern als leuchtendes Beispiel staatlicher Sicherheitspolitik. Nach dem Ende der russischen Invasion solle die Ukraine ein „großes Israel“ werden, ein Bild, mit dem Selenski Israel einen Bärendienst erwies. Schließlich inszeniert sich das Land gerne als „die einzige Demokratie im Nahen Osten“. Aber Selenskis Ukraine solle gerade nicht liberal-europäisch, eine „zweite Schweiz“, werden. Sondern eben wie Israel, mit Soldaten in allen Einrichtungen, in Supermärkten und Kinos.
Diese Vision Selenskis gilt für die Zeit nach dem Rückzug der russischen Armee. Und gegen wen sollen die Soldaten in den Kinos und Supermärkten der Ukraine dann kämpfen? Gegen die Bomben und Raketen der russischen Armee sicher nicht – das wäre sowieso die Aufgabe der zukünftigen „Garantiemächte“. So bleibt nur die Vermutung, sie sollen dem Schutz vor der eigenen Bevölkerung dienen. Nicht nur vor denen, die von Haus aus Russisch sprechen, sondern vor allen, die die Nazis in der ukrainischen Politik ablehnen.
Für die nächsten zehn Jahre möchte der Präsident der Ukraine diese Sicherheitspolitik betreiben – ein Freudenfest für rechte Politiker. Und ganz richtig bezeichnet Selenski eine solche Perspektive für die Ukraine als „großes Israel“. Ähnlichkeiten zur israelischen Sicherheitspolitik sind in diesem Bild nicht zufällig, sondern unvermeidlich. An einem allerdings scheitert Selenski wie andere berühmte Schauspieler vor ihm. Die Realität folgt nicht seinem Drehbuch, sie hat ihre eigenen Gesetze. Wie die Ukraine nach dem Ende des Krieges aussehen wird, liegt nicht in seiner Hand.