Süffisant schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ): „Nach Italien reist Wladimir Selenski eigentlich gerne. In Forte dei Marmi am Ligurischen Meer soll er ein Sommerhaus besitzen. Und in der Hauptstadt Rom wird er jeweils mit offenen Armen empfangen.“ Am Donnerstag vergangener Woche konnte sich der Präsident aus Kiew dort bei der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Termin für eine Wiederaufbaukonferenz zur Ukraine abholen. Zuvor hatte er bereits in London und Paris seinen „Siegesplan“ vorgestellt, den sattesten Geldbetrag gab es allerdings erneut in Berlin. Kanzler Olaf Scholz lobte sich bei der Gelegenheit fürs Geldversenken im Kiewer Fass ohne Boden („Stärkster militärischer Unterstützer der Ukraine in Europa, der zweitstärkste in der Welt“): Soeben seien Waffen im Wert von 600 Millionen Euro geliefert worden, bis zum Jahresende kämen Schießgerät und Munition für 1,4 Milliarden Euro hinzu, im deutschen Haushalt 2025 seien bereits vier Milliarden Euro für Kiew eingeplant und Berlin werde dafür sorgen, dass der 50-Milliarden-Dollar-Kredit, den die G7 im Juli Selenski aus geklautem russischen Vermögen versprochen hatten, auch gezahlt werde.
Vor dem Berliner Baren hatte Selenski in Rom nach Wahrem gesucht: Er traf sich mit Papst Franziskus. Zu dem pflegt der Ex-Komiker eine komplizierte Beziehung. Als er im Mai 2023 zuletzt beim Pontifex war, soll sich die Begegnung „am Rande eines diplomatischen Totalschadens bewegt haben“. (NZZ) Franziskus weigert sich, den Gesslerhut „verbrecherischer Angriffskrieg Putins“ zu grüßen und gilt deswegen in deutschen Kriegsmedien als Verräter. Ihm wird nicht verziehen, dass er im Mai 2022 dem „Corriere della Sera“ sagte, die Ostausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands habe dessen Einmarsch „vielleicht erleichtert“. Womöglich habe „das Bellen der NATO an Russlands Tür“ für eine Eskalation gesorgt.
Solch geistlichem Dolchstoß in den Rücken entging Selenski diesmal, revanchierte sich aber bei Franziskus mit einem Ölgemälde als Geschenk, auf dem das sogenannte Massaker von Butscha, für das die westliche Propaganda russische Streitkräfte verantwortlich macht, thematisiert wird. Der Papst überreichte den Bronzeabguss einer blühenden Rose mit der Inschrift „Frieden ist eine zerbrechliche Blume“ sowie, neben anderen Texten, seine diesjährige Friedensbotschaft.
Er hatte vermutlich die Gewissheit, dass solch defätistische Parole auf Selenskis „Siegesplan“ keinen Einfluss hat. Das Dokument hatte der Ukrainer bereits Ende September in Washington Joseph Biden vorgestellt. Der wiederum sagte – vielleicht unter dem Eindruck des Papiers – seinen Besuch in Deutschland ab und Selenski präsentierte es nun seinen Freunden in Westeuropa, ohne aber Details an die Öffentlichkeit zu lassen. Es muss sich um eine wundersame Schrift handeln. Jedenfalls war einem Interview der „Welt am Sonntag“ mit dem Selenski-Berater Michail Podoljak zu entnehmen, sie sei „mathematisch fundiert“. Kiews Vertreter erklärten, „wie etwa die Tabellen darin zu lesen sind. Warum es auch heute keinen Sinn ergibt, sich mit der Russischen Föderation zusammenzusetzen, und warum kein Raum für Kompromisse existiert.“ Russland kämpfe mit „quantitativen Parametern“, womit Podoljak offenbar die Überlegenheit von dessen Streitkräften meinte, aber all das könne vernichtet werden, „und das muss auch geschehen“. Die Berechnungen dazu befänden sich „in den mathematischen Anhängen des Siegesplans“.
Der Kiewer Sieg basiert demnach auf der Beherrschung der Grundrechenarten und steht fest. Die militärische Lage richtete sich in den vergangenen Tagen allerdings nicht danach. In der russischen Oblast Kursk, in die Kiews Truppen am 6. August einrückten, hatten die russischen Streitkräfte bis zum Wochenende ungefähr die Hälfte der rund 1.000 besetzten Quadratkilometer zurückerobert. Im Donbass rückten sie beharrlich vor. Unbeirrt begann die NATO am Montag ihr jährliches Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“. Sie verlässt sich nicht auf Mathematik Kiewer Art.