Der ukrainische Präsident kam aus den USA mit leeren Händen zurück. Hat der Frieden etwa eine Chance?

Selenski im Land der begrenzten Möglichkeiten

Als Wladimir Selenski am Mittwoch letzter Woche den Plenarsaal im Gebäude der Vereinten Nationen betrat, sah er viele leere Stühle vor sich – während seiner Rede änderte sich das nicht. Beim Besuch in Washington am folgenden Tag vermied es der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner, James Michael „Mike“ Johnson, ihn zu treffen. US-Präsident Joseph Biden empfing den Kiewer im Weißen Haus zu einer bizarren Veranstaltung, in der Selenski seinen „Siegesplan“ überreichte: In Anwesenheit ihrer Delegationen lasen sich beide gegenseitig vorbereitete Texte vor – Biden, weil ihn niemand mehr frei sprechen lassen will, der Kiewer, weil er stets nur unter Aufsicht vortragen darf: Mehr Waffen, mehr weitreichende Waffen und mehr Geld. Das Ablesen beendete er bei allen Auftritten mit dem Gruß der Banderisten, den sie sich 1941 von Wehrmacht und Gestapo im faschistisch besetzten Krakau hatten genehmigen lassen: „Ruhm der Ukraine!“ Anschließend waren sie zum Judenmord aufgebrochen.

Am Freitag traf Selenski im New-Yorker Trump-Tower auch den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der hatte im Zuge seines Wanderzirkus – genannt Wahlkampf – zwei Tage zuvor in North Carolina über Selenski gesagt: „Jedes Mal, wenn er in unser Land kam, hat er 60 Milliarden Dollar mitgenommen“, er sei „wahrscheinlich der größte Geschäftsmann der Welt.“ Und geätzt: „Wir geben weiterhin Milliarden von Dollar an einen Mann, der sich weigert, einen Deal einzugehen. Die Menschen sind tot, das Land liegt in Trümmern. Jeder Deal, selbst der schlechteste Deal, wäre besser gewesen als das, was wir jetzt haben.“

Am Freitag teilte Trump dem Ukrainer nach ihrem Gespräch mit: „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und ich habe, wie Sie wissen, auch ein sehr gutes Verhältnis zu Präsident Putin.“ Wenn er, Trump, die US-Präsidentschaftswahl gewinne, „werden wir das Problem sehr schnell lösen“.

Das entsprach nicht ganz den Texten, die Selenski bis dahin in den USA vorgetragen hatte. Der Kernsatz seines Auftritts im UN-Sicherheitsrat am Dienstagabend voriger Woche lautete: „Russland kann zum Frieden nur gezwungen werden.“ Das Dumme: Trump war nicht der einzige US-Politiker, der sich um diese These und die darin enthaltene Forderung nach Aufrüstung nicht scherte. Laut einer dürren Mitteilung des Weißen Hauses über Bidens Treffen mit Selenski hatte sich der US-Präsident lediglich „entschlossen“ gezeigt, Kiew mit allem auszustatten, was benötigt werde, „um zu gewinnen“. Entschieden wurde nichts. Im übrigen vertröstete Biden sein Gegenüber auf den nächsten Monat: „Am 12. Oktober 2024 wird Präsident Biden in Deutschland ein Treffen auf Führungsebene der ukrainischen Verteidigungskontaktgruppe ausrichten, bei dem die beiden Staats- und Regierungschefs den Fortschritt dieser Konsultationen überprüfen und sich mit internationalen Partnern über zusätzliche Hilfe für die Ukraine abstimmen werden.“ Das soll in Ramstein in Rheinland-Pfalz stattfinden – Biden hatte sich selbst in die Bundesrepublik eingeladen. Dass die eine Regierung hat, war ihm entfallen, vielleicht ignorierte er das auch nur gewohnheitsmäßig.

Im übrigen, meinte die „Neue Zürcher Zeitung“ am Montag in einem Kommentar zur USA-Reise Selenskis: „Die vergangenen Tage haben überdeutlich gezeigt, dass sich die Trennlinien auf ernste Weise vertieft haben – zwischen der Ukraine und der NATO, innerhalb der NATO, aber auch innerhalb der westlichen Führungsmacht.“ Ein Kernpunkt aus Selenskis „Siegesplan“ sei „gestrichen“ – sein Verlangen, mit westlichen Waffen im Hinterland Russlands Schläge auszuführen. Ebenso blockiert sei der Wunsch „nach einer beschleunigten Aufnahme in die NATO“. Aber „noch frustrierender für Kiew“ sei, dass die westliche Militärhilfe nicht etwa zunehme, „sondern sich schleichend verringert“.

Selenski kam, lässt sich sagen, mit leeren Händen aus dem Land der nicht mehr unbegrenzten Möglichkeiten zurück. Man könnte meinen, der Frieden habe eine Chance.

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"Selenski im Land der begrenzten Möglichkeiten", UZ vom 4. Oktober 2024



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