Nach vier Wochen Kursk-Offensive zeigt sich: Russland ist im Donbass auf dem Vormarsch

Selenski bald allein zu Haus

Selbst die standhaftesten deutschen Durchhaltekrieger gegen Russland wie Ralf Fücks (Grüne) zeigen Anzeichen von Ermüdung. Am Dienstag klagte er im „Deutschlandfunk“ nach Rückkehr aus Odessa und Kiew, dort mache sich „Erschöpfung“ breit. Die Bevölkerung vergisst einer wie er, der nur Siegfrieden kennt, aber sofort, wenn es um Schlussfolgerungen geht: Fücks will endlich „Taurus“-Marschflugkörper liefern. Die westlichen Abenteuer-Außenpolitiker haben den Traum, dem russischen Huhn den Kopf abzuschneiden, noch lange nicht ausgeträumt.

Ob sie Sprachrohre des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenski sind oder er ihr Schallverstärker ist, können Historiker vielleicht irgendwann entscheiden. Beide Seiten betreiben jedenfalls die Disziplin „moralische Erpressung“ bei umfassendem Realitätsverlust auf hohem Niveau. Beispiel Selenski: In der Nacht zum Sonntag hatten ukrainische Kampfdrohnen Ziele auf russischem Staatsgebiet angegriffen, auch in Moskau. Es waren die massivsten Angriffe seit zweieinhalb Jahren. Dabei wurde im Südosten der russischen Hauptstadt die große Raffinerie Kapotnja getroffen – 16 Kilometer Luftlinie vom Kreml entfernt. Außerdem erhielten zwei Kraftwerke, darunter eins im Gebiet Twer, 100 Kilometer nordwestlich von Moskau, Treffer. Selenski kommentierte das in seiner abendlichen Videoansprache mit: „Der terroristische Staat muss spüren, wie es ist, Krieg zu führen.“ Und mehr als zehn Jahre, nachdem das Putschregime in Kiew seine „antiterroristische Operation“ gegen die eigene russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine begonnen hatte, ließ er wissen: „Wir müssen den Krieg nach Haus bringen, dorthin, von wo er in die Ukraine gebracht wird.“

Anschließend machte der Mann im Militärpullover den Fücks und verlangte vom Westen mehr und weiterreichende Waffen: „Um Russland zum Frieden zu zwingen, um von der falschen Rhetorik der Verhandlungen zu Schritten zur Beendigung des Krieges überzugehen, um unser Land von Besatzung und Besatzern zu befreien, dazu brauchen wir wirksame Instrumente.“ Doch dies hänge von Joseph Biden, Keir Starmer, Emmanuel Macron und Olaf Scholz ab. Selenski hatte deswegen seinen Stabschef Andrej Jermak und Verteidigungsminister Rustem Umjerow in der vergangenen Woche auf Bettelreise nach Washington geschickt. Umjerow behauptet nach einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Pentagon, dass die USA die Argumente der Ukrainer analysierten und er hoffe, gehört worden zu sein. Austin sagte lediglich, dass die Flugabwehr der Ukraine gestärkt werden solle. Dafür wollten sich die USA beim nächsten Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein am Freitag dieser Woche starkmachen. Der Fernsehsender „CNN“ hatte vorab berichtet, die Kiewer wollten der US-Regierung auch eine Liste von potentiellen Zielen in Russland vorlegen: russische Befehlsstellen, Flugplätze, Munitionslager und Kasernen. Da Ralf Fücks in Washington nichts zu sagen hat, blieben die US-Reaktionen zurückhaltend.

Zudem hatte Selenski ein nationales Unglück zu verdauen: Am Montag vergangener Woche war einer der wenigen F-16-Kampfjets Kiews verlorengegangen, wobei der hochdekorierte Pilot ums Leben kam. Erst am Donnerstag vergangener Woche traute sich Selenskis Generalstab, den Verlust einzugestehen. Am Tag darauf feuerte der Präsident den bisherigen Luftwaffenkommandeur – ohne Begründung. Ukrainische Abgeordnete und Aktivisten schlossen nicht aus, dass das Flugzeug von einer „Patriot“-Rakete aus dem eigenen Arsenal getroffen worden war.

Unterdessen entwickelte sich die vor vier Wochen gestartete Offensive Kiews in die russische Oblast Kursk zu einer Falle für Selenski: Der Vorstoß stockt, im Donbass sind dagegen russische Streitkräfte in Vororte des Eisenbahnknotenpunktes Pokrowsk vorgedrungen. Offensichtlich weigern sich zahlreiche Einwohner der mehrheitlich russischsprachigen Stadt, den Anordnungen zur Evakuierung Folge zu leisten.

Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte unterdessen am Dienstag die Mongolei. Offizieller Anlass war der Sieg der sowjetischen und mongolischen Truppen unter Führung des damals international noch unbekannten Generals Georgi Schukow gegen japanische Einheiten am Fluss Chalchin-Gol vor 85 Jahren. Die damaligen Kämpfe waren das Vorspiel zum Beginn des Zweiten Weltkrieges: Die sowjetische Führung erhielt von Richard Sorge die Information, dass nach der Niederlage die Neigung Tokios zu einem Krieg gegen die So­wjet­union gering war.

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"Selenski bald allein zu Haus", UZ vom 6. September 2024



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