Johanna Moders intelligente Komödie jetzt im Kino

Selbstironie – wider Willen?

Der Trend scheint unumkehrbar: Seit Drehbuchschreiben ein Beruf ist, verlieren die Autoren die Arbeitswelt aus den Augen und kreieren lieber Figuren, die – wie sie selbst – in „gehobenen“ Bereichen tätig sind. Ein solches illustres Quartett, noch dazu parfümiert mit dem Gutmenschen-Spleen der Wiener Jungschickeria, stellt die österreichische Regisseurin/Autorin Johanna Moder ins Zentrum ihres neuen Films: Ihre Hauptfigur Helene ist Richterin, ihr Partner Jakob einst erfolgreicher Komponist, Volker macht weltweit Geschäfte und seine „Derzeitige“, Tina, erträgt als Therapeutin gelassen seine Affären. Zwei befreundete, liberal gesinnte und inklusive Feriendomizil bestens situierte Paare also, ohne tägliche Sorgen und Probleme – kaum Stoff für eine konfliktreiche Kinogeschichte.

Die wird daraus erst, als Helene (sensibel wie immer: Julia Jentsch) Nachricht von Pawel erhält, ihrem russischen Ex aus gemeinsamen Studententagen, der, zurück in Putins Russland, als Dissident Hilfe erbittet. Nichts Genaues weiß zwar keiner von ihnen, aber klar ist: Endlich können die vier ihre politischen Ideen aktiv in die Tat umsetzen, zumal Volker gerade geschäftlich in Moskau zu tun hat …

Zu dessen erstem Treffen mit Pawel versucht sich die Regisseurin kurz und glücklos an Stilmitteln des Agententhrillers, findet aber rasch zurück zu jener mit feiner Nadel stichelnden (Selbst-)Ironie, die sich nun gleichermaßen über die vermeintlichen „Retter“ wie über ihre Schützlinge ergießt und den Film zu einem köstlichen Kinoschmaus macht. Das beginnt damit, dass Geschäftsmann Volker die Trinkfestigkeit seiner russischen Verhandlungspartner offenbar gewaltig unterschätzt, wodurch aus der Idee, Pawel Geld zu schicken, buchstäblich eine Schnapsidee wird: Pawel wird mit falschen Papieren nach Wien geschmuggelt. Als Helene ihn am Bahnhof abholt, staunt sie nicht schlecht: Pawel hat, offenbar von Volker falsch informiert, gleich seine Frau Jewgenia und ihr Söhnchen mitgebracht und bald stellt sich heraus, dass weniger er selbst als seine Partnerin sich in Russland verfolgt fühlt.

Rasch bevölkern weitere, ihnen gänzlich unbekannte Russen die Räume von Helene & Co., und bald liegen bei allen Beteiligten die Nerven blank. Es beginnt ein Reigen von provisorischen Umzügen, an dessen Ende die Freundschaft der Vier mit gegenseitigen Vorwürfen viele verborgene Brüche offengelegt hat und Pawels Frau Jewgenia sich schlicht weigert, weiter unter ihren „Helfern“ umhergeschoben zu werden.

Aus der Komödie der Irrungen ist fast zwangsläufig eine Beinah-Tragödie der Missverständnisse und Fehleinschätzungen geworden. Daraus hätte leicht eine Abfolge seichter Witze werden können, aber Moders feinsinnige Regie entdeckt im Kern der Komik immer auch Spuren ideologischer und sozialer Vorprägung ihrer Figuren: Helene denkt sich nichts dabei, die Wäsche von Jewgenias kleinem Sohn nach dem Windeln durch abgelegte Baby­kleidung ihrer eigenen Töchter zu ersetzen – was Jewgenia natürlich brüsk zurückweist. Und Schürzenjäger Volker interpretiert die „internationale Solidarität“ auf sehr eigennützige Art.

Je deutlicher im Verlauf der Handlung die vier „Dissidentenbefreier“ die Fesseln der eigenen Beziehungsprobleme spüren, umso mehr verliert auch Moders Film Pawel, den eigentlichen Auslöser der Geschichte, aus dem Blick. Wir erfahren wenig bis nichts über sein Leben in Russland oder über den realen Hintergrund seines Hilferufs aus Moskau. Drohte ihm wirklich staatliche Verfolgung oder war alles erfunden? Ging es um ihn, um seine Frau oder nur um deutsche Visa? Und um darauf zurückzukommen: Ob Pawel, von dessen Beruf wir nichts erfahren, vielleicht Revoluzzer ist? Dem nämlich – in Gestalt eines Lampenputzers – widmet Moders Film ganz spät im Abspann noch Erich Mühsams bitteres Poem. Oder hat er – weiter (frei nach Mühsam – „ein (Dreh-)Buch geschrieben, nämlich, wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt“.

Waren einmal Revoluzzer
Österreich, 2019
Mit Julia Jentsch, Marcel Mohab, Manuel Rubey und Aenne Schwarz
Jetzt im Kino

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Selbstironie – wider Willen?", UZ vom 17. September 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit