Zur „Flüchtlingskrise 2.0“ und dem rassistischen Grundkonsens

Selbstgemacht

Auf dem Scherbenhaufen der bundesdeutschen Politik tanzen derzeit die Politlautsprecher aller Farben und posaunen oberflächliche Parolen in die Mikrofone. Durchhalteparolen bleiben allerdings aus. Diesmal schaffen „wir“ es wohl nicht.

Etwas mehr als 200.000 Asylanträge wurden in den ersten acht Monaten dieses Jahres in Deutschland gestellt. Dass die Medien daraus eine „Flüchtlingskrise 2.0“ machen können, hat am allerwenigsten mit den Schutzsuchenden zu tun. Auch sind die Vorwürfe in Richtung Russland und Belarus absurde Nebelkerzen. Weder Putin noch Lukaschenko sind dafür verantwortlich, dass Menschen nach Europa flüchten wollen. Beide werden vom Westen unverhohlen als Monster diffamiert. Wundert sich wirklich wer, dass sie nicht bereit sind, die Drecksarbeit für die EU zu machen und die Migranten an der Durchreise zu hindern?

Nein, die Aufnahme von 200.000 oder auch zwei Millionen Menschen wäre für ein Land wie Deutschland kein Problem, wenn in diesem Land Politik für die Menschen gemacht würde. Das Gegenteil ist aber der Fall. Im Fokus des Bundestags, unabhängig von seiner jeweiligen Färbung, stehen allein die Gewinninteressen der Banken und Konzerne sowie die Milliarden der Superreichen. Deshalb gehen die Kommunen auf dem Zahnfleisch, mangelt es an gutem und günstigem Wohnraum, sind die Schulen marode, deshalb fehlen überall Lehrerinnen und Erzieher, sind Gesundheit und Pflege am Ende.

Asylverfahren sollten beschleunigt werden, sind sich die Lautsprecher einig. In Stuttgart übernachten die Menschen inzwischen vor der Ausländerbehörde, um eventuell am nächsten Morgen einen Termin zu bekommen. Laut Behördenchef liegt das am Personalmangel und den in den letzten Jahren immer komplexer werdenden Verfahren. Das Bürgerbüro in meinem Stadtteil ist seit fast einem Jahr geschlossen.

Geschrien wird inzwischen auch wieder nach mehr Grenzkontrollen. Doch auch bei Polizei und Zoll fehlt seit Jahren Personal. Bis hin zu den Grünen besteht auch rassistischer Konsens bei den inzwischen „Rückführungen“ genannten Abschiebungen. „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Kriminelle“ müssten schnell zurück in ihre Heimatländer. Dafür müsse man mehr Länder zu „sicheren Herkunftsländern“ erklären – nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts Anfang der 1990er Jahre soll nun mit der Kettensäge die Genfer Flüchtlingskonvention, also Völkerrecht, bearbeitet werden. Was bleibt eigentlich der AfD noch in dieser Debatte?

Seit Jahren bemüht sich die EU, ihre Außengrenzen in Festungsmauern zu verwandeln. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass man die nützlichen Ausländer haben will, also gut ausgebildet und bereit, für Hungerlöhne die Drecksarbeit zu machen. Dass sich die Menschen trotz aller Bemühungen nicht abhalten lassen, das Ersaufen im Mittelmeer zu riskieren, hängt mit ihrer aussichtslosen Situation zusammen. Die ist in der Regel Folge westlicher Kriege, ob nun militärischer oder ökonomischer. Die meisten Asylanträge in diesem Jahr stellten Menschen aus Syrien. Selbst angesichts des schweren Erdbebens dort Anfang des Jahres wollte Außenministerin Annalena Baerbock nichts von einer Lockerung der Sanktionen wissen. Es folgen Afghanistan, Türkei, Irak, Iran. Dazu kommen über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine. Auch dort tut der Westen alles, damit dieser Krieg nicht endet.

Kurzfristig ist keine Entlastung in Sicht. Dagegen werden Menschen auf die Straße gehen. Sie zu beschimpfen, sie allein zu lassen, sie den Faschisten zu überlassen führt in die Katastrophe. Es gilt, ihren Zorn auf die Verursacher zu lenken.

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"Selbstgemacht", UZ vom 29. September 2023



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