Wie wohl die meisten der Anwesenden habe er Mouhamed Dramé nicht persönlich gekannt, sagt Noah. „Alles, was ich über ihn weiß, weiß ich aus Berichten über seinen Tod.“ Doch sei Mouhamed nicht nur Opfer, nicht nur „Geschädigter“, wie er im laufenden Prozess am Landgericht Dortmund oft genannt werde. Er sei vor allem ein Mensch. „Ich möchte den Tag dazu nutzen, mehr über ihn zu erfahren.“
Noah engagiert sich im Kollektiv Afrik NRW. Er ist nicht der Einzige, der den Menschen Mouhamed Lamine Dramé heute in den Mittelpunkt seines Redebeitrags stellt. An diesem Donnerstag, den 8. August 2024 haben sich gut 200 Menschenen auf dem Kurt-Piehl-Platz in der Dortmunder Nordstadt versammelt. Vor genau zwei Jahren standen zwölf Polizisten der Wache Nord nur zwei Straßenecken entfernt Mouhamed Dramé gegenüber. Der Geflüchtete aus Senegal hielt sich, wohl in suizidaler Absicht, ein Küchenmesser an den Bauch – in einer Mauernische im geschlossenen Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung. Anstatt professionelle Hilfe zu organisieren, eskaliert die Polizei die statische Lage. Eine Beamtin greift Mouhamed mit Pfefferspray an, zwei weitere tasern ihn. 0,717 Sekunden später feuert Fabian S. sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole auf Mouhamed ab. Fünf davon treffen. Kurz darauf stirbt Mouhamed.
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed organisiert die Gedenkfeier unter dem Motto „Kein Vergeben! Kein Vergessen! Rest in Power!“ Dieser überparteiliche Kreis hat von Anfang an die Finger in die Wunde gelegt, Öffentlichkeit hergestellt, sich mit Demonstrationen, Mahnwachen und Pressemitteilungen an die Stadtgesellschaft gewandt. Ohne das unermüdliche Engagement von Justice4Mouhamed wäre dieser Polizeimord vielleicht schnell in Vergessen geraten, zum Strafprozess gegen fünf der an dem Einsatz beteiligten Beamten wäre es wohl kaum gekommen.
Auch die Moderatorin der Gedenkfeier betont, wie wichtig dem Solidaritätskreis die kritische Auseinandersetzung mit Polizeigewalt allgemein und der Prozessführung im Besonderen ist. Vor allem aber gehe es heute darum, Mouhameds Brüdern eine Stimme zu geben und an den Menschen Mouhamed Dramé zu erinnern.
Deshalb steht der Mensch Mouhamed heute im Fokus, nicht das Opfer. Ein Familienmensch sei er gewesen, betonen seine Brüder Sidy und Lassana. Beide sind heute hier. Sie verfolgen den Prozess am Landgericht Dortmund als Nebenkläger. Mouhamed sei morgens immer der erste gewesen, der Tee gekocht habe für die ganze Familie, erzählt Sidy. „Familie war das Wichtigste für ihn.“ Große Worte habe er nicht für die Anwesenden. „Schön, dass ihr alle da seid.“ Den Anwesenden gelte der Dank der ganzen Familie Dramé. Es mache seine Familie glücklich, dass so viele Menschen sie unterstützten, sagt Sidy. Seinen Dank wiederholt er im Laufe des Abends noch mehrfach.
Weil Mouhamed immer fröhlich gewesen sei, solle die Gedenkfeier ein fröhliches Fest werden, sagt William Dountio. Er ist einer der Sprecher des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed. Mouhamed habe alles mit seinen Freunden geteilt.
Also gibt es hervorragendes senegalesisches Essen, Getränke, dazu Live-Musik. Kinder lassen sich schminken oder messen sich im Torwandschießen. Aus der Gedenkfeier wird ein Nachbarschaftsfest. Politisch aktive Menschen feiern zusammen mit Bewohnern der Nordstadt. Das Fest ist so ruhig, dass zeitweise sogar die Polizei davonfährt.
Britta Rabe von Alarmphone erinnert daran, weshalb kaum einer der Anwesenden Mouhamed Dramé persönlich kannte. Dass Mouhamed seine gefährliche Fluchtroute überlebt habe, sei leider nicht selbstverständlich. Die Kriminalisierung Geflüchteter führe dazu, dass Fluchtrouten immer weiter südlich verliefen, was die Gefahr erhöhe. „Die, die das Überleben, stellen fest, dass das rassistische Regime bis in unsere Gesellschaft hinein reicht.“