Italien ist für viele Sehnsuchtsort. Das Essen, die Sprache, die Landschaft – selbst dort, ganz im Süden, wo das Meer zwar unfassbar blau, die Landschaft aber ausgedörrt ist, fast schon karg.
Mimmo, der mit seiner Vespa (natürlich in FlipFlops und ohne Helm) durch eben diese Landschaft fährt, will einfach nur weg. Denn eine Zukunftsperspektive gibt es für junge Menschen an diesem südlichen Zipfel des Sehnsuchtslands nicht. Stattdessen Armut, Arbeitslosigkeit, Naturzerstörung und Faschos.
Mit „Maltempo“ veröffentlicht der Reprodukt-Verlag nun den dritten Italien-Band des französischen Comic-Künstlers Alfred. Auch für ihn scheint Italien ein Sehnsuchtsort zu sein. In „Come Prima“ ließ er zwei ungleiche Brüder aus Frankreich mit dem Auto eine Reise nach Italien unternehmen, um den letzten Wunsch ihres verstorbenen Vaters zu erfüllen. In „Senso“ durchleiden zwei Menschen gemeinsam eine Hochzeit, auf der sie nicht sein wollen – vor der wunderbaren Kulisse der Toskana. Alle drei Bände haben Bilder gemein, die einen eintauchen lassen in die Landschaft des Sehnsuchtsorts, man spürt die flirrende Hitze, riecht die Zypressen – und doch verschließt Alfred nicht den Blick auf die (menschlichen) Zustände.
In „Maltempo“ ist nun also Mimmo die Hauptfigur. Neben der Vespa hat er eine Gitarre und einen Traum: Sich mit einer strahlenden Musikkarriere aus dem Elend des Südens zu befreien. Zum Glück kommt die landesweit bekannte Fernseh-Castingshow auch in das Kaff, in dem Mimmo wohnt. Muss er also nur noch die Band wieder zusammenbringen. So einfach, so kompliziert.
Während Mimmo durch Landschaft und Orte braust, um seine Bandmitglieder zu reaktivieren, taucht Alfred ein in die Lebensrealitäten der Menschen, in die Geschehnisse, die sie in Atem halten, und die Meinungen, die sie vor sich hertragen. Da sind die Anschläge auf Baustellen, die mitten in der unberührten Landschaft Hotels für Touristenströme entstehen lassen sollen. Und da sind Gespräche über die, die sie begangen haben sollen. Die Ausländer natürlich, die sind ja auch schuld daran, dass die Arbeitslosigkeit so hoch ist. Da ist unfassbare Armut und arme Menschen, die auf die noch ärmeren herabsehen. Und da sind Menschen wie Mimmos Bandkollegen: Der eine plappert die rassistischen Ressentiments seines Vaters nach, ohne nachzudenken, der andere rühmt sich in übelst sexistischer Weise mit seinen allabendlichen sexuellen Eroberungen – und verbringt diese Abende in Wahrheit bei seiner sterbenskranken Mutter im Krankenhaus. Und dann ist da noch die Fascho-Bande, die die Gegend im Griff hat und gegen die sich Mimmo nach Kräften wehrt. Als von dem Vermieter des Proberaums nur eine Blutlache und abgeschnittenen Finger zurück bleiben (Die Faschos? Die Mafia? Die Baustellenterroristen?), zerfallen die Reste der gerade wieder zusammengebrachten Band endgültig. Geht Mimmo allein zum Casting? Oder gibt er die Hoffnung auf?
Die Stärke an Alfreds Italien-Comics liegt im Gegensatz zwischen den malerischen Landstrichen, den von Zypressen gesäumten Alleen, dem blauen Meer, den grünen Hügeln und den kargen Bergen und der harten, brutalen Realität des Lebensalltags. Man fühlt mit Mimmo und all den anderen, die sich ein besseres Leben wünschen – und spürt doch zeitgleich den Fahrtwind in den Haaren, der Freiheit verspricht, wenn man auf einer Vespa durch Italien braust.
Alfred
Maltempo
Reprodukt, 184 Seiten, 24 Euro