Das Weltwirtschaftsforum in Davos

Sehnsucht nach Globalisierung

Hat Javier Milei recht? „Davos hat angefangen zu bröckeln“, triumphierte Argentiniens libertärer Präsident am 23. Januar in seiner Rede auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum. In der westlichen Welt habe sich allzu lange eine „Hegemonie der Linken“ breit gemacht, die „Wokeness“ – „ein Krebs, den man ausrotten muss“. Wüst beschimpfte Milei Feminismus und Inklusion, wetterte unflätig über Umweltschutz und Schwule: „Wir haben die moralische und historische Verantwortung, diese Wokeness abzuschaffen.“ Der Anfang sei inzwischen gemacht. Heute sei er nicht mehr isoliert, er fühle sich „nicht mehr allein“, bekannte Milei; vielmehr habe er starke Gleichgesinnte – von Donald Trump über Giorgia Meloni und Viktor Orbán bis hin zu Benjamin Netanjahu. Die Welt entwickle sich weiter: „Wir leben in einer Zeit, in der die Regeln neu geschrieben werden.“

Wer vergangene Woche das Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Alpen beobachtete, der konnte in der Tat zu der Überzeugung gelangen: Mit seiner Einschätzung, „Davos“ habe „zu bröckeln“ begonnen, hat Milei recht. Da waren zunächst ein paar dürre Fakten. Zwar hoben die Veranstalter hervor, unter den rund 3.000 Gästen aus 130 Ländern weltweit hätten sich 350 Regierungsvertreter befunden, davon 60 Staats- oder Regierungschefs. Ein Zeichen des Bröckelns? Ja, in der Tat. Denn wer genauer hinsah, stellte fest: Von denjenigen, die Davos bislang stets die großen Schlagzeilen sicherten, waren viele in diesem Jahr nicht zugegen. Der einzige Regierungschef eines G7-Staates, der den Weg nach Davos auf sich genommen hatte, war Bundeskanzler Olaf Scholz. US-Präsident Donald Trump ließ sich immerhin zu einer Videoansprache herab. Emmanuel Macron, Keir Starmer und die anderen G7-Spitzen aber? Fehlanzeige. Auch Größen aus dem Globalen Süden wie Chinas Präsident Xi Jinping oder Indiens Premierminister Narendra Modi, die Davos immer wieder Glanz verliehen hatten, waren zuhause geblieben.

Und wo heute inhaltlich die Musik spielt, konnte man Trumps Videoansprache entnehmen. Der forderte die anwesenden Unternehmer unmissverständlich auf, in Zukunft gefälligst in den USA zu investieren. Wer das nicht tue, kündigte Trump an, werde mit Zöllen daran gehindert, seine Waren profitabel auf den US-Markt zu exportieren. Regierungen hingegen müssten 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ihr Militär investieren. Was der US-Präsident da propagierte, war nicht mehr das Modell hemmungsloser neoliberaler Globalisierung, für das „Davos“ seit je stand; es war das Modell sich gegen übermächtige Konkurrenz national abschottender westlicher Ökonomien, die rabiat aufrüsten, um ihre schwindende globale Dominanz bei Bedarf militärisch zu behaupten. Gehörte zu „Davos“ stets auch die Begleitmusik sozialer Individualisierung, so wird diese nun durch plumpen Nationalismus und sozialen Autoritarismus abgelöst sowie als „Wokeness“ erbittert bekämpft.

Wie sich die Dinge ändern. Noch nicht lange ist es her, rief die „Frankfurter Allgemeine“ in Erinnerung, da dominierte in Davos klar die westliche Finanzelite. Vor ungefähr zehn Jahren begannen ihr dann die US-Tech-Riesen die Show zu stehlen. Das tun sie bis heute; nur: In diesem Jahr nahmen nur noch wenige von ihnen den beschwerlichen Weg in die Schweizer Alpen auf sich. Von den „Magnificent Seven“, den sieben größten US-Tech-Unternehmen, war lediglich Microsoft mit seinem Chef auf dem Weltwirtschaftsforum vertreten, während gleich fünf – X, Meta/Facebook, Amazon, Apple, Alphabet/Google – es vorzogen, an der parallel abgehaltenen Amtseinführung von Donald Trump teilzunehmen. „Um zu erfahren, was die Welt bewegt, muss man jetzt nicht mehr nach Davos fahren“, konstatierte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank: „Man muss vor Ort in Washington sein.“ Denn „die Weichen“, auf die es ankomme, würden heute dort gestellt – in dem Land, das in den vergangenen Jahrzehnten die Welt dominierte und das jetzt mit allen Mitteln gegen seinen Niedergang ankämpft. „Ich schlage vor“, tönte Milei in Davos, „dass die westliche Welt wieder groß wird!“ Das Programm dafür, den autoritären Standortnationalismus, treibt neben ihm, Meloni und einigen anderen vor allem Washington selbst voran.

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"Sehnsucht nach Globalisierung", UZ vom 31. Januar 2025



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