Das Pfefferspray, mit dem die Polizeibeamtin Jeannine Denise B. am 8. August 2022 den Geflüchteten Mouhamed Lamine Dramé angegriffen hat – der Auftakt zu einer planmäßigen Eskalation eines Polizeieinsatzes, nach dem Dramé im Krankenhaus starb, niedergemäht durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole – war Medienberichten zufolge abgelaufen. Konnte es dennoch funktionieren? Dieser Frage ging Thomas F., 61 Jahre alt, Gutachter beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, am 7. August nach, dem 19. Prozesstag.
Das Interesse von Medienvertretern und Besuchern an dem Prozess hat über die sommerlichen Schiebetermine deutlich nachgelassen. Die Einlasskontrollen für Prozessbesucher gehen schneller vonstatten. Der 19. Termin der Hauptverhandlung beginnt fast pünktlich.
Gutachter F. schildert zunächst, wie das von der nordrhein-westfälischen Polizei benutzte Reizstoffsprühgerät (RSG) funktioniert. Via Röntgenaufnahme habe er die Restmenge an Reizstoff bestimmt, die noch in dem von Jeannine B. benutzten Gerät enthalten gewesen sei. 187 Gramm des Reizstoffes hätten gefehlt, was darauf hindeute, dass die Beamtin etwa sechs Sekunden lang auf Mouhamed Dramé gesprüht hatte. Knapp über die Hälfte der Ladung habe die Polizistin dabei verfeuert. Ob sie einen langen Strahl oder mehrere kurze Sprühstöße abgab, könne er nicht sagen. Das RSG habe funktioniert, der Wirkstoff sei wirksam gewesen. Eine Abweichung der Sprühleistung habe er nicht festgestellt, sagt F. Das Gerät lasse sich auf bis zu vier Meter Distanz verwenden.
Auf Nachfrage räumt er ein, Ziele, die mehr als sechs Meter entfernt seien, könne man mit dem Gerät nicht zuverlässig treffen. Da man den Strahl des Geräts sehe, ergänzt der Vorsitzende Richter Thomas Kelm, könne man „nachjustieren“, um zu treffen.
„Das wär’s dann für heute“, sagt Richter Kelm um 9:56 Uhr, keine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn. Dann fällt ihm noch ein: Die Prozessbeteiligten sollten Terminvorschläge mitbringen zum nächsten Prozesstag. Die ursprünglich für Mitte April erwartete Urteilsverkündung wurde schon mehrfach verschoben. Jetzt deutet sich an, dass es auch Mitte September noch kein Urteil geben wird.
In dem Fall steht mit Fabian S. zum ersten Mal in der Geschichte der BRD ein Polizist wegen Totschlags im Amt vor Gericht. Der Prozess vor dem Landgericht Dortmund begann im Dezember 2023. Bei einem Einsatz im geschlossenen Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt am 8. August 2022 starb Mouhamed Dramé, nachdem er in einer statischen Situation – er hatte sich wohl in suizidaler Absicht ein Küchenmesser an den Bauch gehalten – von Polizisten der Wache Nord zunächst mit Reizgas angegriffen worden war, dann zweimal getasert und schließlich mit sechs Schüssen aus einer Maschinenpistole niedergestreckt wurde, von denen fünf trafen. Sämtlichen Zeugenaussagen zufolge war Dramé für niemanden außer sich selbst gefährlich gewesen.
Der Prozess wird am 14. August fortgeführt.
Unsere bisherige Berichterstattung über den Prozess haben wir hier zusammengestellt.