Der Leitfaden zum „Umgang mit sexistischer Gewalt“ wurde mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Jubel brach aus und vereinzelt erhoben sich Parteimitglieder von ihren Sitzen. Dieser Schritt des Parteiumbaus war für viele Delegierte offenbar das zentrale Anliegen dieses Parteitags. Die kritischen Stimmen, die darin einen reaktionären Schritt und die Vorbereitung von nicht abzuwehrenden Strafmaßnahmen gegen Kritiker sahen, haben sich nicht durchgesetzt. Mehrere Anträge hatten gefordert, den Leitfaden heute nicht zu beschließen.
„Wir wollen eine Partei sein, in der sich Betroffene ernst genommen und sicher fühlen können (…) eine Partei, in der man sich entschuldigen kann, ohne das Gesicht zu verlieren“. So begründet die Feministische Kommission den Antrag. Es sei ein „kursierendes Missverständnis“, dass das Ziel des Antrags sei, „Strafen für Beschuldigte zu verhängen“. Aber für „Grenzfälle“ solle eine rechtliche Regelung festgelegt werden, die dem „Schutz der Betroffenen“ diene. Als Organisation müsse man „Verantwortung“ übernehmen. Der Leitfaden sei nicht das Ende des „feministischen Erneuerungsprozesses, sondern ein Anfang“.
Verfahrensfragen zum Antrag wurden über GO-Anträge geklärt. Ein Antrag, der einen Verweis an den Bundesausschuss und eine breite Diskussion in der Partei vorschlug, auch was die Rolle der Schiedskommission angeht, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Nach scharfer Kritik an dem Vorgehen die drei Änderungsanträge ohne Debatte im Block abstimmen zu lassen, sei „unsensibel und missbräuchlich“, ruderte die Antragsberatungskommission zurück. Sie wolle die Atmosphäre im Saal nicht „vergiften“.
In der Debatte um die drei Anträge wurde klar, wohin die Reise geht. Der Wunsch aus Hamburg, im Antrag festzuhalten, dass die Politik der Linkspartei aus einer egalitären frauenpolitischen Tradition komme, wurde deutlich widersprochen. Feminismus, so entgegnete die Vertreterin der Feministischen Kommission, sei „einst“ Frauenpolitik gewesen, heute gehe es um mehr Geschlechter. Das von all den Geschlechtern nur eins signifikant schlechter bezahlt wird, war der Feministischen Kommission keine Erwähnung wert. Trotzdem wurde in der Partei, die sich nicht nur hier in Augsburg rühmt, die der sozialen Gerechtigkeit zu sein, der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Beschlossen wurde ein Änderungsantrag unter anderem von der „Antikapitalistischen Linken“. Darin heißt es, dass einige der im Leitfaden aufgeführten Taten zu schwerwiegend und deshalb auch mit dem Ausschluss zu ahnden seien. Man solle von „bestrafenden Maßnahmen absehen“, die geeignet sind, andere mundtot zu machen, forderte eine Antragsstellerin. Ihr Antrag wurde abgelehnt.
Ob es für die Delegierten eine Rolle spielte, dass mehrmals betont wurde, der Leitfaden würde in Zukunft geändert werden, weiß man nicht. Er wurde mit großer Mehrheit und unter Jubelrufen verabschiedet.
Damit ist die Rolle, die die vom Parteitag gewählte Schiedskommission bei der Aufklärung von Sexismusvorfällen einnehmen soll, ab sofort ungeklärt. Eine Vertrauensgruppe wird „ohne Unschuldsvermutung“ Ermittlungen aufnehmen. Unauffällig wurde gemeinsam mit der Unschuldsvermutung und dem Recht auf Verteidigung die Frauenpolitik der Linkspartei gleich mit entsorgt.