Teilchenbeschleuniger in aller Welt messen auf einmal völligen Quatsch, einer jungen Wissenschaftlerin, die Unternehmerin geworden ist, flimmert auf einmal permanent ein Countdown vor den Augen, Spitzenwissenschaftler begehen reihenweise Selbstmord, und dann fängt auch noch der nächtliche Sternenhimmel an zu blinken. Was ist passiert? Netflix hat sich Liu Cixins „Trisolaris“-Trilogie vorgenommen.
Mit David Benioff und D. B. Weiss hat sich Netflix dafür die Köpfe hinter der Seriensensation der letzten Jahrzehnte gesichert: die Macher von „Game of Thrones“, die gleich noch drei Schauspieler und den Komponisten Ramin Djawadi mitbrachten. Doch die acht Folgen der (anzunehmend) ersten Staffel bleiben – obwohl großes Serienvergnügen – hinter den Erwartungen zurück.
Die Geschichte von den Außerirdischen, die auf dem Weg zur Erde sind, um diese zu übernehmen, aber erst in 400 Jahren eintreffen werden, spinnt sich bei Liu über 1.740 Seiten in drei Buchbänden und einen Zeitraum von der chinesischen Kulturrevolution bis zu 16 Millionen Jahren in der Zukunft. Eine kaum in eine Serie zu packende Ansammlung von Personen, Ereignissen und Überlegungen, selbst für erfahrene Serienmacher wie Weiss und Benioff, die bei „Game of Thrones“ (bis auf das völlig misslungene Ende, das keiner sehen wollte) unter Beweis gestellt haben, dass man auch hochkomplexe Stoffe gut in einer Serie erzählen kann. Diesmal machen sie aber Fehler.
Der erste ist so ärgerlich wie er vorhersehbar war. Die Handlung und mit ihr die handelnden Personen werden aus China ins englische Oxford verlegt, die Figuren erhalten andere Namen und Geschlechter. Warum man bei einem so radikalen Manipulieren an den Grundpfeilern dann trotzdem auf eine große Zahl ethnisch asiatischer Schauspielerinnen und Schauspieler setzt, bleibt Geheimnis der Serienautoren. Was offensichtlich in traurigen Marktstrategien von Netflix begründet liegt, nimmt der Serie von vorneherein die Chance, die Fragen zu diskutieren, die Lius Buchreihe aufgrund des Settings in China und der auch im Roman bestehenden Systemkonkurrenz immanent sind. Wie kann eine uneinige Welt zusammenarbeiten, um die Menschheit zu retten? Wer teilt welche wissenschaftliche Erkenntnis mit wem und zu welchem Zweck? Sollte man Erkenntnisse nicht generell öffentlich machen, damit ihre Grenzen gemeinsam weitergeschoben werden können? Muss Menschheitswissen nicht auch der Menschheit gehören? Ohne diese Frage wird die Netflix-Verfilmung der erfolgreichsten Science-Fiction-Reihe der vergangenen Jahrzehnte zu einer weiteren (wenn auch spektakulären) Geschichte über die Ankunft der grünen Männchen.
Zudem wird die Serie ohne die Auseinandersetzung mit der Systemkonkurrenz eines, was Science-Fiction nicht werden darf: in sich unlogisch. Nicht umsonst hat die „Enterprise“ einen Heisenberg-Kompensator an Bord. Jetzt sitzt das Netflix-Publikum erstaunt vor dem Fernseher und fragt sich, warum auf einmal die USA so zurückhaltend sind und warum sich alle an die Entscheidungen der Vereinten Nationen halten.
Zudem konnten Benioff und Weiss der Versuchung nicht widerstehen, Elemente aus den Teilen 2 und 3 der Trilogie schon in der ersten Staffel zu verballern. Logischer wird die Serie dadurch nicht. Da hilft es auch nicht, dass sie sich bemühen, wenigstens Teile der zugrunde liegenden physikalischen Überlegungen zu erläutern.
Und so wird aus der Geschichte der Physikerin Ye Wenjie, die in der Kulturrevolution so Schreckliches erlebte, dass sie trotz Warnung von der anderen Seite eine außerirdische Zivilisation bittet, auf die Erde zu kommen, eine Erzählung voller Lücken. In Buchvorlage wie Serie kommuniziert eine kleine Gruppe von Menschen mit den Außerirdischen, die auf dem Weg zur Erde sind. Zu Gesicht bekommt man sie dabei nie, ihre Geschichte wird erzählt in einer VR-Simulation, in der die Spieler dazu aufgefordert sind, das titelgebende Drei-Körper-Problem zu lösen. Denn die Zivilisation der Außerirdischen entwickelte sich auf einem Planeten, der dem Einfluss dreier Sonnen ausgesetzt ist. Das Verhalten dreier Himmelskörper zueinander ist nicht berechenbar, so wird es überraschend glühend heiß oder eiskalt, dieser Zustand kann Tage anhalten oder Jahrzehnte. Die Zivilisation kann sich nicht stringent entwickeln. Die Gruppe der Menschen, die bei Liu erst im Laufe der Trilogie in unterschiedliche Fraktionen, darunter eine religiöse, zerfällt, ist bei Netflix von Anfang an eine Sekte, die die Außerirdischen mit „My Lord“ anspricht – die Zuschauerin sitzt da und wundert sich.
Ist das jetzt deswegen alles schlecht? Nein, die Serienverfilmung von Netflix ist feines Popcorn-Kino, technisch gut gemacht, schwungvoll erzählt und hochkarätig besetzt. Wer die wissenschaftliche Akkuratesse Liu Cixins, seine philosophischen Überlegungen und seine dialektische Erzählweise erwartet, wird enttäuscht sein. Unterhalten wird man trotzdem. Und Liu Cixin dürfte es egal sein, gibt es doch bereits eine hervorragende chinesische Verfilmung seiner Bücher. Die erste Staffel von „3 Body Problem“ gibt wenig Hoffnung auf die folgenden. Aber vielleicht begreifen Benioff und Weiss noch, dass Science-Fiction und Fantasy zwei unterschiedliche Genres sind.
3 Body Problem
US-Verfilmung
Unter anderem mit Jess Hong, Rosalind Chao, Benedict Wong und Jonathan Price
Abrufbar auf Netflix
3 Body Problem
Chinesische Verfilmung
Unter anderem mit Luyi Zhang, Yu Hewei, Li Xiaoran und Jin Chen
Original mit englischen Untertiteln
Kostenlos auf Youtube unter kurzelinks.de/3bodyproblem