Bund und Länder schieben Verantwortung für Flüchtlingsfinanzierung hin und her. Gipfel setzt auf Abschottung statt Integration

Schwarzer Peter mit Stacheldraht

Der Flüchtlingsgipfel ist eine große Enttäuschung“, titelte das „Handelsblatt“ am 11. Mai und wusste auch warum: Die Ministerpräsidenten der Länder seien vor dem Gipfel mit der Forderung nach einer längerfristigen Finanzhilfe des Bundes für die Flüchtlingsunterbringung in den Kommunen mit viel „Tamtam“ wie „ein Tiger gesprungen“ und am Ende der Sitzung am 10. Mai „als Bettvorleger gelandet“. Enttäuscht kann man nur sein, wenn man etwas erwartet. Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Auch den Redakteuren des „Handelsblatts“ müsste das bekannt sein, schrieben sie doch am 11. Oktober 2022 (am Tag des vorletzten Flüchtlingsgipfels): „Vor dem Flüchtlingsgipfel bei Bundes­innenministerin Nancy Faeser (SPD) am heutigen Dienstag schlagen Städte und Gemeinden Alarm.“

Geändert hat sich an der Finanznot der Kommunen seither nichts. Getreu dem Sprichwort „Wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis“, wird jetzt erst einmal eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das Finanzierungsproblem „analysieren“ soll, bevor deren Ergebnisse dann beim abermals nächsten Flüchtlingsgipfel im November beraten werden sollen. Dem Steuerzahler kann es gleich sein, ob aus der Bundeskasse oder den Länderkassen gezahlt wird, letztlich ist er immer der Kostenschuldner. „Das ist ein guter Tag für den deutschen Föderalismus“, lobte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Pressekonferenz und versprach den Gemeinden eine Milliarde Euro „Soforthilfe“. „Mehr war nicht drin“, kommentierte resigniert Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU). Die Vertreter der Kommunen waren gar nicht erst zum Gipfel geladen worden.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, bezeichnete die Milliarde als „Tropfen auf den heißen Stein“. Bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl fiel die Kritik deutlicher aus: Das Treffen beim Bundeskanzler sei der „Gipfel der Abschottung und Entrechtung“. Nicht nur, dass die Kommunen finanziell ins Aus manövriert werden, das Asylbewerberleistungsgesetz nicht überarbeitet werde, die Ausländerbehörden in ihrer Personalnot alleine gelassen werden, der Gipfel stelle die Weichen für einen „menschenrechtlichen Dammbruch“. In trauter Einigkeit sprachen die Gipfelteilnehmer gleich welcher parteipolitischen Couleur über den Ausbau der Grenzkontrollen, Zäune und Grenzanlagen an den EU-Außengrenzen, die Verlängerung des Abschiebegewahrsams von 10 auf 28 Tage, die Vorverlegung des Asylverfahrens in die Ersteinreiseländer wie Griechenland, Bulgarien und Italien und die Hochrüstung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.

Mit der Absicht, die Ausgaben für Schutzsuchende in Deutschland gering zu halten, mischte in der Debatte auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit, der für mehr „physischen Schutz der Außengrenze“, ergo Stacheldraht und Zäune, plädierte. Mit dem seit einigen Monaten anhebenden Gerede von einer „irregulären Migration“ sind nicht die bis Ende 2022 eingereisten 1,045 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine gemeint, sondern die 217.774 im letzten Jahr aus den arabischen Ländern und aus Nordafrika Zugereisten (darunter 24.791 in Deutschland geborene Flüchtlingskinder), die einen Asylantrag gestellt haben. Nach der Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im Jahr 2022 130.000 positive Asylbescheide erlassen, zusätzlich circa 40.000 erstritten das Asylrecht bei den Verwaltungsgerichten. Und selbstverständlich brauchen alle diese Menschen Arbeit, Wohnraum, Schul- und Berufsausbildung. Das für diese Integration notwendige Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Jedem Asylberechtigten mit Bleiberecht dürfte es herzlich egal sein, dass der 10. Mai „ein guter Tag für den deutschen Föderalismus“ gewesen sein mag.

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"Schwarzer Peter mit Stacheldraht", UZ vom 19. Mai 2023



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