In der Generaldebatte des Bundestags wird die fiskalische Null gefeiert

Schwarz-rosa Schlaraffenland

Von Klaus Wagener

Die schwarz-rosa Bundesregierung liebt den Superlativ. Natürlich führt die Kanzlerin die erfolgreichste Bundesregierung seit der Erfindung der Schriftsprache. Und natürlich ging es den Menschen noch nie so gut wie unter Frau Merkel und Herrn Gabriel. Der 329 Milliarden schwere Bundeshaushalt 2017 sei „ein starkes Signal für Generationengerechtigkeit“, verkündet der haushaltspolitische Sprecher der CDU, Eckhard Rehberg. Denn Dank der schwäbischen Hausfrau im Finanzministerium (und der Nullzinspolitik der EZB) hat die „GroKo“ wieder einmal den feuchtesten ihrer Träume realisiert: Die Schwarze Null, das mittels Schuldenbremse in den Verfassungsrang erhobene höchste Ziel neoliberaler Regierungskunst, darf ein weiteres Jahr bejubelt werden.

Was zählen da die Löcher in den Straßen, die 2 500 maroden Brücken im Lande, die Schulen, in denen der Unterricht aus und der Putz von den Decken fällt, die Misere in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die wachsende Armut im Lande, die Altersversorgung, die vor die Wand fährt, der Klimawandel, der den Globus unbewohnbar macht? Alles kein Thema, Hauptsache es gibt die Null. Die Kohlsche Fata Morgana der „blühenden Landschaften“ ist auf die Banalität eines Rechnungssaldos, auf einen kleinen schwarzen Kringel geschrumpft. Die große Koalition habe „mit dem Verzicht auf neue Kredite das Anwachsen des Schuldenberges zu Lasten der Kinder gestoppt“, schwärmt Rehberg. Und ihnen dabei das Land ruiniert, wäre zu ergänzen.

Natürlich weiß selbst Rehberg, dass die Vorstellung eines schuldenfreien kapitalistischen Staates ein grober Unfug ist. Zumal in Zeiten, in denen das Finanzministerium durch Geldleihen Milliardenbeträge kassiert. Laut Handelsblatt rentieren 73 Prozent aller Bundesschulden negativ. Das Berlin-Brüssel-Frankfurter Eurokrisen-Management („Die Krise als Chance“) hat, wie das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung errechnet hat, für die Bundesrepublik seit 2010 eine Zinskostenentlastung von rund 100 Milliarden Euro gebracht. Und Millionen Europäer ins Elend gestürzt. Wenn es um Destruktion geht, war die deutsche Bourgeoisie noch nie national borniert.

Irgendwo müssen die „Anleger“ ja hin mit ihrer Kohle. Wenn die „Finanzartisten“ schon viel Geld zahlen, um ihr Zusammengerafftes irgendwo sicher parken zu können, zeigt das ziemlich klar, dass die tatsächliche Abwesenheit von Staatsschulden für den einflussreichsten Teil unserer Gesellschaft geradezu eine Horrorvorstellung wäre. Selbstverständlich könnte man ausreichend Steuern erheben, um eine solide Staatsfinanzierung zu gewährleisten. Das private Vermögen in der Bundesrepublik beträgt mehr als 8 500 Milliarden Euro. Reichlich also. Nebenbei: Eine Schwarze Null ließe sich ja auch durch höhere Einnahmen erreichen. Aber dann müssten die Damen und Herren mit den tiefen Taschen zahlen und könnten nicht kassieren. Daher ist diese Variante einigermaßen unbeliebt. So unbeliebt, dass Wolfgang Schäuble, gewissermaßen als Ausgleich und Entschuldigung für seine frevelhaften Renditegewinne, der Finanzbranche die deutsche Infrastruktur dargeboten hat. („Die Krise als Chance“).

Selbstredend könnte Schwarz-Rosa das Geld zur Sanierung der Infrastruktur leihen, wenn sie es den oberen 1 Prozent schon nicht abknöpfen mag, das würde sogar weitere Milliarden Renditegewinne in Schäubles Kasse spülen. Aber das würde das zentrale Problem nicht lösen: 25 Jahre „Globalisierung“ haben gigantische Vermögen geschaffen – aber keineswegs die dafür erforderlichen profitablen Anlagemöglichkeiten. Da kommt die marode Infrastruktur ja wie gerufen. Der entscheidende Punkt: Wie immer bei der Privatisierung, irgendjemand muss die Profite zahlen. Dreimal darf geraten werden, wer das sein soll.

Weniger knickrig geht es traditionell bei der Rüstung zu. Wie schon von der Kriegsministerin angekündigt („Die Krise als Chance“), möchte man die (Bomben-)Lücke nutzen, die vom zukünftigen US-Präsidenten – möglicherweise – eröffnet wird. Sollte Donald Trump tatsächlich keine Lust auf Krieg verspüren, Kanonen-Uschi steht bereit Deutschland auch in Afrika und im südchinesischen Meer zu verteidigen. Damit das auch klappt, braucht es Geld. Viel Geld. 130 Milliarden Euro hat die Frontfrau der neuen Wehrmacht schon mal gefordert. 36,6 Milliarden Euro werden im Haushalt 2017 ausgewiesen. Damit steigt die Kriegskasse stärker als der Gesamthaushalt. Aber ob das reicht, ist fraglich. Es dürfte bald ein neues Jammern und Klagen der Kriegspartei zu hören sein.

Auch nach dem Selbstverständnis der Bürgerlichen ist Politik unmittelbar mit Geld verknüpft. Die „Generaldebatte“ findet daher in direktem Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haushaltes statt. So erscheinen die politischen Entscheidungen als Folge selbstgeschaffenen haushaltstechnischer Restriktionen und Zwänge. Der Unmut soll sich am Sachzwang die Zähne ausbeißen, an der Formel, dass es keine Alternative gebe.

Wie nun auch Donald Trump zeigt, verfängt diese neoliberale Strategie immer weniger. Frau Merkel hat die Indifferenz zum persönlichen Programm erhoben. Immer wenn sie tatsächlich Farbe bekannt hatte, ist sie gescheitert. Auch dieser Haushalt ist kein „starkes Signal“ für irgendeine Form von Gerechtigkeit, sondern die zum Gesetz erhobene Weigerung sich den politischen und ökonomischen Herausforderungen des 10. Krisenjahres zu stellen. Sahra Wagenknecht hat eine couragierte Rede gehalten. Aber so lange die „Sozialdemokratie“ die neoliberale Zurichtung mitträgt und die kommunistische Herausforderung schwach bleibt, wird es die AfD sein, welche diese Steilvorlage verwandeln kann.

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"Schwarz-rosa Schlaraffenland", UZ vom 2. Dezember 2016



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