„Man kann uns das Wohnungsressort wegnehmen, aber nicht die Wohnungskompetenz“

Schwarz-Blau will in Graz durchregieren

Von Anne Rieger

In Graz regiert eine schwarz-blaue Koalition. Mit 38 (ÖVP) und 16 (FPÖ) Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten sie 4 von 7 Stadtratsmandaten. Der KPÖ, zweitstärkste Partei mit 20 Prozent der Stimmen und zwei Stadtratsmandaten, entreißen sie das 19 Jahre vorbildlich geführte Wohnungsressort. Vom bisher üblichen Proporz, alle Parteien, die in den Stadtsenat gewählt wurden, an der Regierungsbildung zu beteiligen, ist keine Rede mehr. Auch das angestammte Recht der zweitstärksten Partei auf den Vizebürgermeister reklamiert Eustacchio, Chef der nur drittstärksten FPÖ, für sich. Schwarz-Blau will durchregieren. Nur eine Stunde vor der pompös inszenierten Pressekonferenz informierten sie die KPÖ und zwei Stunden vorher die Grünen über deren Ressortzuteilungen.

Das Ergebnis ihres zweimonatigen geheimen Koalitionsnachdenkens ist die „Agenda Graz 2022“. Elke Kahr, KPÖ-Stadträtin, weist darauf hin, dass das Programm im Kern Einschnitte beim Sozialen und automatische Tarif- und Gebührenerhöhungen vorsieht. „Dazu passt auch der Titel Agenda 2022. Denn Agenda 2010 war auch der Name des Programms der Regierung Schröder in Deutschland, von dem vor allem der Begriff Hartz IV und ein massiver Sozialabbau in Erinnerung geblieben sind.“

Elke Kahr hat 19 Jahre das Wohnungsressort geführt, sie soll nun das Verkehrsressort übernehmen. Robert Kotzer wird Gesundheits-und-Pflege-Stadtrat.

Elke Kahr hat 19 Jahre das Wohnungsressort geführt, sie soll nun das Verkehrsressort übernehmen. Robert Kotzer wird Gesundheits-und-Pflege-Stadtrat.

( KPÖ Graz)

Wohnkompetenz bleibt bei der KPÖ

Per Gemeinderatsmehrheit (nach Redaktionsschluss) wird der KPÖ das Verkehrsressort sowie das Gesundheits- und Pflegeressort zugeteilt. „Wenn Bürgermeister Nagl sagt, er entzieht uns die Wohnkompetenz, dann täuscht er sich. Er kann uns das Ressort wegnehmen, aber nicht die Kompetenz“ erklärte Elke Kahr kämpferisch. Sie ist seit 12 Jahren Wohnungsstadträtin und eine der beliebtesten PolitikerInnen in Graz. Das zeigen auch die über 5 000 Unterschriften unter eine Petition, die verlangt, dass Elke Kahr Wohnungsstadträtin bleiben soll. „Der KPÖ das Wohnungsressort wegzunehmen ist Verhöhnung des Wählerwillens“, gibt ein Leserbrief in der regionalen Zeitung die Stimmung unter Teilen der Bevölkerung wieder.

Der Coup, den die Herrschenden der Stadt sich ausgedacht haben, schadet nicht der KPÖ, wie wahrscheinlich kalkuliert, sondern den Menschen, die auf leistbares Wohnen und Unterstützung gerade in dieser Frage angewiesen sind. Kahr betont ihren weiterhin geltenden Anspruch: „Bei der KPÖ werden die Menschen, die sonst keine Lobby haben, jedenfalls weiterhin eine verlässliche Verbündete gegen Sozialabbau haben – und eine offene Bürotür und ein offenes Ohr finden“. Die KPÖ Graz werde den Mieternotruf auf jeden Fall fortsetzen und weiterhin Ansprechpartnerin bei Problemen rund ums Wohnen sein. „Für uns steht außer Frage, dass es der Grazer Bevölkerung nicht schlechter gehen darf. Wir bleiben weiterhin die Partei für Mieter und nicht nur für die Hausherren.“ Die vom FPÖ-Chef angekündigte Regelung, dass nur jene eine Gemeindewohnung bekommen, die mindestens fünf Jahre ihren Hauptwohnsitz in Graz haben, werde „vor allem Österreicher treffen, auch Menschen aus den Umlandgemeinden, die ihre Wohnung durch Arbeitsplatzverlust, Scheidung oder körperliche Gebrechen verloren haben“, so Kahr.

Mit voller Kraft in den Verkehrsbereich

„Wir gehen mit Zuversicht in die neue Etappe der politischen Arbeit.“ Das bedeute aber keineswegs, „dass wir das ÖVP-Programm auf Punkt und Komma umsetzen werden“, so Kahr. Die KPÖ hat eigene Vorstellungen und begreift auch Verkehrspolitik als Sozialpolitik. Im Rahmen der – von Schwarz-Blau vorgegebenen – finanziellen Möglichkeiten gelte es, wesentliche Kernelemente in Angriff zu nehmen.

„Wir haben uns schon sehr lange für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs ausgesprochen. Der ÖV muss auch als sozialpolitische Maßnahme gesehen werden. So setzen wir uns mit Sicherheit etwa auch für die Jahreskarte für Auspendler ein, dazu sollten zumindest zwei Straßenbahnprojekte in den Grazer Westen umgesetzt werden.“ Wirksames Vorgehen gegen den Feinstaub, kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel an Feinstaub-Tagen wären eine Möglichkeit, Ausbau des Radwegenetzes, insbesondere Schließung von Lücken, Sicherheit für FußgängerInnen und mehr Platz für Menschen durch Wohnstraßen, Gehsteige, Zebrastreifen sind weitere Punkte auf ihrer Agenda.

„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“

„Ein gutes Gesundheitssystem muss allen Menschen den Zugang ermöglichen. Das ist von elementarer Bedeutung“, führt Gesundheits-und-Pflege-Stadtrat Robert Krotzer in seine Ressorts ein, denn „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Die KPÖ habe einen ganzheitlichen Zugang zum Thema, der sich mit dem der Weltgesundheitsorganisation deckt, die Gesundheit „als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur des Fehlens von Krankheit oder Gebrechen“ definiert. Krotzer wendet sich gegen die Zwei-Klassen-Medizin, die Profitorientierung im Gesundheits- und Pflegebereich, die Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen und lehnt Krankenhausschließungen ab. Er wolle konkret gegensteuern durch städtische Gesundheitsangebote sowie Prävention, die ohne finanzielle Barrieren zugänglich sind und über welche die Menschen auch in den Wohnvierteln, Schulen, Betrieben, Kindergärten und öffentlichen Einrichtungen sowie sozialen Medien informiert werden. Dazu soll die Beratung in den Bereichen Gesundheit und Pflege ausgeweitet und so niederschwellig wie möglich angeboten werden. Ein wichtiger Punkt seien faire Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne für die Beschäftigten“.

„Ich werde weitermachen – auch über die nächsten Wahlen hinaus, wann auch immer sie stattfinden werden“, reagiert Elke Kahr auf die beleidigenden Bemerkungen des Bürgermeisters. Erstmals werden die KPÖ-GemeinderätInnen den Bürgermeister nicht mitwählen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Schwarz-Blau will in Graz durchregieren", UZ vom 7. April 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit