Angriffe auf die Arbeiter- und Wirtschaftskammern

Schwarz-Blau gegen gesetzliche Interessenvertretungen

Von Anne Rieger

In Österreich hat die ÖVP-FPÖ-Regierung die Kürzung der Arbeitsmarktförderung um 600 Millionen Euro beschlossen. Das trifft die Abschaffung der „Beschäftigungsaktion 20 000“ für ältere sowie andere Programme für Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Geflüchtete. Eine Kürzung um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr sei geradezu ein „Kahlschlag“, hatte der Präsident der Arbeiterkammer (AK), Rudolf Kaske, kritisiert. Von den geplanten Kürzungen werden auch die in der Erwachsenenbildung tätigen Beschäftigten betroffen sein. In der Branche arbeiten etwa 12 000 Personen, davon zwei Drittel für das „Arbeitsmarktservice“ (BA). Geplant ist auch die Abschaffung der Notstandshilfe für Arbeitslose und die Einführung einer österreichischen Variante von Hartz IV, die Abschaffung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags für die 800 000 Beschäftigten, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen müssen. Vermutlich ein Einstieg für weitere Schleifungen von Arbeiterrechten.

Die Kürzung der Arbeitsmarktförderung ist nicht der einzige Angriff. Im Fokus steht die Arbeiterkammer, allerdings hat sich die Bundesregierung noch nicht getraut, die Arbeiterkammern direkt anzugreifen, denn im ersten Halbjahr sind in vier Bundesländern Landtagswahlen zu schlagen. Auch die Verlängerung der Höchstarbeitszeit von jetzt 10 auf dann 12 Stunden, die im Regierungsprogramm steht, ist noch nicht erfolgt. Aber das Säbelrasseln ist ständig zu hören. Anfang März, nach der dritten Landtagswahl, droht Vizekanzler Strache (FPÖ) im Interview: „Wir haben noch vieles vor, die Senkung der Lohnnebenkosten, der Körperschaftssteuer, Reformen bei ORF und Kammern.“

Die Arbeiterkammern sind die gesetzlich verankerten Interessenvertretungen der Lohnabhängigen. Sie sind entscheidende Thinktanks der Arbeiterklasse. Ihre gesetzlich festgelegte Aufgabe ist es, „die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern“. Konkret heißt das kostenlose Rechtsberatung und -hilfe bei Arbeitskonflikten für jedes Mitglied, Beratung der Betriebsräte, politische und rechtlich Bildung. Gutachten und Vorschläge an gesetzliche Institutionen über alle Angelegenheiten, die die Interessen der Arbeiter und Angestellten betreffen, also z. B. Arbeiterschutz, Sozialversicherung, Arbeitsmarkt, Wohnungsfürsorge, Gesundheit, Bildung und Konsumentenschutz, Statistiken über die wirtschaftliche Lage der Arbeiter und Angestellten, der Preis- und Lohnentwicklung. Mit Ausnahme von BeamtInnen besteht eine Pflichtmitgliedschaft mit einer Kammerumlage von 0,5 Prozent des Einkommens. Durchschnittlich sind das 7, maximal 14,44 Euro. Die neun Kammern verfügen damit über 433 Millionen Euro jährlich und beschäftigen 2 609 KollegInnen. Von den 3,64 Millionen Mitgliedern sind 816 000 Personen aufgrund ihres geringen Einkommens von der Kammerumlage befreit. Würde die Pflichtmitgliedschaft aufgehoben, würden sich Mitgliederzahl und damit Handlungsspielraum der AK drastisch verringern. Im vergangenen Jahr erstritten sie 532 Millionen Euro für die Mitglieder.

Das umfangreiche, interessengeleitete Aufgabengebiet erklärt, warum bereits im Wahlkampf 2017 FPÖ, NEOS und Industriellenvereinigung mit Unterstützung großer Teile der Medien gegen die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern agitierten. Es sind die gleichen, die die gesetzlichen Sozialversicherungen abschaffen und durch „Freiwilligkeit“ ersetzen wollen.

Im gemeinsamen Regierungsprogramm von ÖVP/FPÖ konnte die FPÖ die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft der Kammern nicht durchsetzen, weil das auch die Wirtschaftskammer, ein wichtiger Stützpunkt der ÖVP, getroffen hätte. Die Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer zu schleifen wäre auch ein massiver Angriff auf die Tarifverträge. Denn ein Großteil der rund 500 Branchenverträge werden vom jeweiligen Fachverband der Wirtschaftskammer für alle Mitgliedsunternehmen verhandelt. Wer der Wirtschaftskammer angehört, ist damit automatisch auch an den jeweiligen Tarifvertrag gebunden. Dürften einzelne Unternehmen austreten, müssten sie auch den Tarifvertrag nicht einhalten.

Drohend aber steht im Regierungsprogramm, dass die Bundesregierung die gesetzlichen Interessenvertretungen (Kammern) „einladen“ wird, bis zum 30. Juni 2018 Reformprogramme vorzulegen, „die konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder“ beinhalten. Was das konkret heißt, erläutert die Gewerkschaft GPA-djp: „„Es wird zwar nicht die Pflichtmitgliedschaft abgeschafft, aber die Kammern müssen ihre Einnahmen senken. Die Kürzung der Beiträge ist noch nicht festgelegt, vielmehr müssen die Kammern selber massiv kürzen. Sollte dies der Regierung nicht reichen, behält sich diese vor, gesetzlich vorzugehen.“

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"Schwarz-Blau gegen gesetzliche Interessenvertretungen", UZ vom 16. März 2018



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