Sanktionen gegen den Iran treiben eurasische Integration voran

Schuss ins eigene Knie

Von Klaus Wagener

Der Exodus aus dem Iran hat begonnen. Kaum hatte US-Präsident Trump den Atom-Deal mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA)) platzen lassen, ziehen sich wichtige europäische Firmen aus dem Irangeschäft zurück. So beispielsweise der französiche PSA-Konzern (Peugeot, Citroën), der in dem Land immerhin 440 000 Autos verkauft, der Ölriese Total, der auch im iranischen Gasfeld South Pars, dem mit Abstand größten der Welt, engagiert ist, aber auch Siemens und Renault und nicht zuletzt Airbus.

Der europäische Flugzeugbauer dürfte einer der am stärksten Betroffenen der US-Kehrtwende sein. IranAir hatte 2016, nach Beendigung der Sanktionen, 200 Passagierflugzeuge bestellt. 100 Exemplare von Airbus, 80 von Boeing und 20 vom französisch-italienischen Hersteller ATR. Der Boeing-Deal wird auf 17 Milliarden Dollar beziffert, der mit Airbus auf 19 Milliarden. Die Flugzeug-Hersteller haben bis zum 6. August 2018 Zeit, den Deal rückabzuwickeln. Ab dem 4. November ist dann der An- oder Verkauf von Erdöl und Erdgas oder petrochemischen Produkten, aber auch der Finanztransfer mit der iranischen Zentralbank oder iranischen Finanzinstitutionen nach dem Willen der USA verboten.

Den Firmen dürften die Erfahrungen der französischen Bank BNP-Paribas in den Knochen stecken. BNP war 2014 von der US-Justiz wegen Verstoßes gegen die US-Iran-Sanktionen eine Strafe von neun Milliarden Dollar aufgebrummt worden. BNP hatte gezahlt, weil sie nicht vom US-kontrollierten Zahlungsverkehr und vom US-Markt ausgeschlossen werden wollten. Aber so etwas kann und will sich nicht jeder leisten. Und hier sind auch die Möglichkeiten von EU-Garantien weit überschritten. Die US-Administration sitzt machtpolitisch klar am längeren Hebel. In Iran kann nur bleiben, wer nicht in Dollar handelt, keine US-Teile verbaut und nicht auf dem US-Markt engagiert ist. In klarer Erkenntnis dessen ziehen sich die europäischen Firmen zurück, selbst wenn es sie Milliarden von Euro kosten wird.

Diese Entwicklung macht es für die Europäer kompliziert, den Deal mit Iran auch nach dem Ausstieg der USA zu retten. Der Iran hat der EU 60 Tage Zeit gegeben, um Garantien für die Fortführung des Deals, das heißt für die Fortführung der Wirtschaftsbeziehungen und des Kapitalverkehrs zu liefern. So wie es aussieht, wird das in vielen Fällen kaum möglich sein. Die EU dürfte sich wieder einmal als Papiertiger entlarven. Das wiederum könnte der Iran als Aufforderung ansehen, wieder in die Urananreicherung einzusteigen. Die Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel könnten als Beispiel gewertet werden, dass nur derjenige ernst genommen wird, der über Atomwaffen verfügt. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hatte sich in ähnlicher Richtung geäußert. Die zionistische Führung in Jerusalem denkt ohnehin so. Ankara und Kairo wird ähnliches unterstellt. Ein atomares Wettrüsten in der Region kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Der US-Ausstieg aus JCPOA hat nicht nur die Konsequenz einer Distanzierung der USA von ihren alten „Bündnispartnern“ in der EU, sondern dürfte auch eine Annäherung der eurasischen Staaten, speziell auch des Irans, zu Russland und China begünstigen.

Wie die Sanktionspolitik gegen Russland den Kreml keineswegs in die Knie gezwungen hatte, sondern die sich seit Ende der 1960er Jahre wenig freundlich gegenüberstehenden Mächte Russland und China einander wieder näher gebracht hatte, so wendet sich nun auch der Iran verstärkt Russland und China zu. Irans Präsident Hassan Rohani traf sich am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) in Qingdao auch mit Wladimir Putin und Xi Jingpin. Iran liefert der energiehungrigen Volksrepublik Erdöl und Erdgas und spielt eine zentrale Rolle in Xis Projekt einer „Neuen Seidenstraße“ (BRI).

Die Zeiten, in denen der „Westen“ allein über Technologiemonopole verfügte und widerspenstige „Dritte-Welt-Staaten“ mit Blockaden in die Knie zwingen konnte, gehen vorüber. Auch andere Staaten können Maschinen, Schiffe, Schnellzüge, Raketen und Computer bauen. Die kurzsichtige Sanktionspolitik wird diese Entwicklung nicht aufhalten, sondern beschleunigen.

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"Schuss ins eigene Knie", UZ vom 15. Juni 2018



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