„Jede Patient*in hat eine gute und respektvolle Behandlung verdient. Unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen und dem Fallpauschalensystem ist das nicht möglich.“ Zitate wie dieses von Anja, Krankenpflegerin in der Anästhesie der Uniklinik Bonn, sind das Kernelement der Einladungen, die von den Beschäftigten der sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen wurden. Sie führen einen betrieblichen Kampf für Entlastung und laden gezielt die Stadtgesellschaften in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster zu digitalen Versammlungen ein. Dort stellen sie ihre Forderungen nach Entlastung und ihren Plan vor, wie sie den Arbeitgeberverband und die Landesregierung in NRW zu besseren Arbeitsbedingungen und damit besserer Versorgung für die Patientinnen und Patienten zwingen wollen.
Die Beschäftigten wissen genau, dass diese Auseinandersetzung nicht nur ihre ist, sondern dass sie das Ganze für sich und für die gesamte Bevölkerung tun. Dementsprechend breit ist das Interesse an den digitalen Stadtversammlungen. Politikerinnen und Politiker aus Bund, Land und Kommune sowie Landtagswahlkandidatinnen und -kandidaten folgen der Einladung genauso wie Verbändevertreter und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben und DGB-Gewerkschaften.
Der Schulterschluss mit der Bevölkerung ist wichtig für die Durchsetzung ihrer Forderungen, denn sie fordern nicht weniger als ein komplett anderes Gesundheitssystem, in dem sie selbst gesund bleiben und gute Arbeit für die Patientinnen und Patienten leisten können. Nicht umsonst haben sie dem Arbeitgeberverband und der Landesregierung NRW ein 100-Tage-Ultimatum gestellt, damit genug Zeit ist, in Verhandlungen zu einer Tarifeinigung zu kommen, die das abbildet.
Am Erscheinungstag dieser Zeitung sind es noch 57 Tage bis zum Ende des Ultimatums. Was bisher passiert ist? Auf Arbeitgeberseite nicht viel, eine Antwort auf die übersandte Verhandlungsaufforderung steht noch aus, aber damit haben die Aktiven gerechnet. Die Arbeitgeber haben wahrgenommen, wie sich Klinikbeschäftigte in den letzten Jahren organisiert und zuletzt in Jena, Schleswig-Holstein und Berlin solche Tarifverträge mit Streiks durchgesetzt haben. Insofern wird geschaut, ob die Beschäftigten auch in NRW in der Lage sind, solche Durchsetzungsstärke zu entwickeln. Und genau das werden die Klinikbelegschaften in den nächsten zwei Wochen eindrucksvoll beweisen: Sie haben sich verabredet, bis zum 17. März die Hälfte der Belegschaften hinter der Forderung zu vereinen und die Unterschriften von dann wahrscheinlich rund zehntausend Beschäftigten an die Landesregierung und den Arbeitgeberverband zu übergeben. Unterschriften, die dokumentieren, dass die Forderung nach Entlastung und Verbesserung der Ausbildung von über der Hälfte der Beschäftigten getragen wird. Und dass diese bereit sind, dafür zu streiken, sollte das Ultimatum verstreichen.
Der aktuellen Passivität der Arbeitgeber steht massive Organisierungsarbeit in den Betrieben gegenüber: In allen Bereichen und Stationen wird mit allen Beschäftigten diskutiert, die Petition von immer mehr Teams gezeichnet, nicht nur einzeln, sondern immer mit dem Ziel, die Stärke aufzubauen, die diese Auseinandersetzung brauchen wird. Auf den wöchentlichen Aufbautreffen kommen immer mehr Kolleginnen und Kollegen und sagen: „Geschafft, unser Team hat sich mehrheitlich oder sogar komplett hinter die Forderung nach einem Tarifvertrag Entlastung gestellt. So kann es nicht weitergehen, wir sind dabei!“
Das ist eine ganz andere Ausgangssituation als in den vergangenen Jahren, wo Auseinandersetzungen und Streiks in Kliniken zwar wirkmächtig waren, aber nur von kleinen Teilen der Belegschaften getragen wurden. Das werden auch die Arbeitgeber und die Landesregierung merken.
Und noch etwas wird ihnen die Laune verderben: Um die grundsätzlichen Probleme dieses Gesundheitssystems in den Wahlkampf zu tragen, ruft die „Notruf Entlastung“-Bewegung der Unikliniken gemeinsam mit der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für Alle!“ zum 7. Mai, dem Samstag vor der Landtagswahl, zur landesweiten Großdemonstration nach Düsseldorf auf. Die politisch Verantwortlichen wissen, dass sie dieses Gesundheitssystem so heruntergewirtschaftet haben, dass der Aufruf in den anderen Krankenhäusern in NRW und der Bevölkerung nicht ungehört verhallen wird. Und dass es dann auch wieder um die Forderung nach Abschaffung der Fallpauschalen und Profiterwirtschaftung in Krankenhäusern geht.