Es ist eine Illusion, dass wir von einer Besserung sprechen können. Wir stehen immer noch am Anfang der Pandemie … Die Regierung hat mit den Lockerungen ein falsches Signal gesendet … aus virologischer Sicht gibt es … keine Grundlage, den Lockdown jetzt schon zu lockern“, erklärte die Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann im „Spiegel“. Nicht nur sie befürchtet eine zweite, stärkere Ansteckungswelle. Entscheidend im Kampf gegen das Virus kann nur die Entwicklung von wirksamen Medikamenten und eines Impfstoffes sein.
Zu den kritisierten Lockerungen gehört die schrittweise Öffnung der Schulen. Mit rund 2,6 Millionen Kindern und Jugendlichen beginnt nun der Schulbetrieb. Schülerinnen und Schüler sollen Abschlussprüfungen machen, Viertklässler sollen für die weiterführenden Schulen vorsortiert werden.
GEW und DGB setzen sich hingegen dafür ein, auf schulische Prüfungen – Abitur, Mittlerer Bildungsabschluss, erster Bildungsabschluss – in diesem Jahr wegen der besonderen Situation zu verzichten. Die GEW, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der Bundeselternrat (BER) benennen als Herausforderungen bei Schulöffnung den Gesundheitsschutz, verbindliche Ansprechpersonen für Schulleitungen, die Gestaltung von Räumen bei gleichzeitiger Bewahrung individueller Lernsettings, die Belastung für Lehrkräfte durch den Unterricht in geteilten Lerngruppen sowie durch Präsenzunterricht und die parallele Betreuung der Schülerinnen und Schüler zu Hause sowie die Frage der Definition der Risikogruppen und der daraus folgenden Konsequenzen.
Was hier als „Herausforderungen“ benannt wird, beschreibt den desolaten Zustand des deutschen Schulwesens: Lehrermangel, zu große Lerngruppen, heruntergekommene Schulgebäude und andere Mängel mehr. Die „Corona-Krise“ und die nun beschlossene Wiederöffnung der Schulen zeigen die wesentlichen Probleme des deutschen Bildungswesens verschärft auf.
Es fehlt an Lehrerinnen und Lehrern und pädagogischem Personal. Die Schulen werden jetzt bei Öffnung ohne die Risikogruppen mit weniger Lehrkräften und mehr, weil kleineren Lerngruppen und mit weniger Unterrichtszeit pro Woche auskommen müssen. Die Schulen sind bei weitem nicht entsprechend ausgestattet und vorbereitet. Es fehlt unter anderem an warmem Wasser zum Händewaschen, Schutzmasken und vielerorts an den räumlichen Möglichkeiten. Eine größere Zahl von Schulen wird die hygienisch notwendigen Standards nicht einhalten können.
Trotzdem halten die Landesregierungen an der baldigen Öffnung der Schulen fest. Darin wird deutlich, welche Bedeutung dieses Bildungswesen für die kapitalistische Gesellschaft hat. Die „Wirtschaft“ braucht qualifizierte Arbeiter und Angestellte. Zudem ist dieses Bildungswesen Garant für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Schichtung.
Die Chancenungleichheit zeigt sich offen an den Möglichkeiten der Familien, zu Hause Lernstoffe zu verarbeiten. In den einen Familien gibt es Laptops, Drucker, Smartphones, Zeit und Fähigkeiten. In anderen sind die Wohnungen zu klein, fehlt die technische Ausstattung, sind die Fähigkeiten – zum Teil auch sprachliche – nicht ausreichend und die Eltern vollauf damit beschäftigt, den Lebensunterhalt zu sichern.
Die Lehrerverbände hatten deshalb darauf gedrängt, Kinder in Notlagen sowie Schülerinnen und Schüler aus sozio-ökonomisch benachteiligten Elternhäusern in den Fokus zu rücken. Die Landesregierungen hingegen setzen auf Abschlussprüfungen und Sortierung der Viertklässler auf die weiterführenden Schulen. Selektion ist wichtiger als Bildung.
Unsere Forderungen angesichts der in der Krise offensichtlich gewordenen Mängel im Bildungswesen sind: Mehr Personal, bessere Ausstattung und die Orientierung am Wohl der Menschen und nicht am Wohl „der Wirtschaft“ mit ihrem Profitstreben. Die Fixierung auf Tests, Prüfungen und die Chancenungleichheit geben unserer Forderung nach „einer Schule für alle“ eine neue Chance. Schulöffnung ist das falsche Signal. Das richtige Signal ist eine Diskussion um die grundlegende Umgestaltung des Bildungswesens.