Der Umgang mit Worten gehört nicht gerade zu den Stärken von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Mit Begriffen ist es noch schwieriger, denn Begriffe sind Worte, bei denen man sich etwas denkt; auch so eine Schwäche. Glücklicherweise hat der Kanzler Berater, die ihn im Sinne ihrer Auftraggeber in den Konzernzentralen mit Worten und Gedanken versorgen. Nun haben sie ihm einen neuen Begriff beigebracht: Frührentner.
Laut Scholz gibt es zu viele Menschen, die sich nach dem 63. oder 64. Geburtstag zur Ruhe setzen. Jeder Dritte nutzt die Möglichkeit, nach 45 Jahren Berufstätigkeit abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Ein Viertel derjenigen, die 2021 die Rente beantragten, nahm zum Teil erhebliche Kürzungen in Kauf, um vorzeitig aus den Schinderbuden zu entfliehen. Das geht natürlich nicht. Bekanntermaßen dient ein Menschenleben im Kapitalismus dem höheren Zweck, die eigene Arbeitskraft bis zum Schluss in den Dienst der Profitmacherei zu stellen. Wer nicht bis zum Umfallen buckelt, vernachlässigt diese Pflicht und läuft Gefahr, am Ende der Arbeit noch etwas Leben übrig zu haben.
Folgerichtig forderte der Kanzler gegenüber der „Funke-Mediengruppe“ nun Maßnahmen, um „den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können“. Ein Weg, dies zu erreichen, wäre die Absenkung der Regelaltersgrenze bei vollen Bezügen. Aber das meint Scholz natürlich nicht. Wahrscheinlicher ist, dass die Regierung die Axt an die Möglichkeit legen will, nach 45 Beitragsjahren in den Ruhestand zu treten, auch wenn das 67. Lebensjahr noch nicht vollendet ist. Ausgesprochen wurde das bisher nur von der CSU, doch die öffentliche Debatte bereitet den Boden. Die viel zu langen Lebensarbeitszeiten werden unterschwellig als natürliche Norm verkauft, wenn Menschen, die sich viereinhalb Jahrzehnte lang ausbeuten ließen, als „Frührentner“ diffamiert werden. Die Wahrheit ist: Viele können nicht länger arbeiten. Für sie wäre jede Verschiebung der Altersgrenze eine direkte Rentenkürzung und eine weitere Aberkennung ihrer Lebensleistung. Man darf gespannt sein, welche Begriffe dem Bundeskanzler an die Hand gegeben werden, um das zu erklären.