Auszüge aus dem Referat von Olaf Harms, Sekretär für Betriebs- und Gewerkschaftspolitik des DKP-Parteivorstandes
Mit der heute stattfindenden Konferenz diskutieren wir, wie wir zum Sozialismus kommen. Im Leitantrag des Parteivorstands an den 22. Parteitag haben wir einen Weg aufgezeigt mittels unserer antimonopolistischen Strategie: Stopp der Offensive des Kapitals, politische Wende zu Frieden, demokratischem und sozialem Fortschritt und revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus. Es wäre zu schön, diese Strategie auch konkret mit einem Zeitstrahl zu hinterlegen.
Also Stopp der Offensive des Kapitals abgeschlossen Ende 2019, dann ein daran anschließender fließender Übergang zur Wende, in der die Arbeiterklasse ihre Defensivposition verlässt und die Macht zur Durchsetzung ureigenster Forderungen hat, und zwar bis zum Jahr 2024. Und dann abschließend bis zum Jahr 2030 der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus. So sehr ich mir einen solchen Zeitplan auch wünschen würde, er ist doch letztlich Unsinn. Und trotzdem ist es so, dass viele Diskussionen um unsere Strategie sich im Wesentlichen auf die Wende und den revolutionären Bruch konzentrieren, als stünden sie unmittelbar bevor. Der erste Schritt, der Stopp der Offensive des Kapitals und wie wir diesen Stopp herbeiführen können, spielt dagegen leider oft eine untergeordnete Rolle. (…)
Um Mehrheiten in der gesamten Bevölkerung zu gewinnen, reicht es nicht, den Kern der Arbeiterklasse und ihren organisierten Teil zu erreichen. Ein zentrales Element der antimonopolistischen Strategie ist die Ausstrahlung der Arbeiterklasse auf andere Schichten und die Einbeziehung dieser in den Kampf gegen die Monopole.
In Deutschland hat sich eine breite Mittelschicht herausgebildet, die zahlenmäßig einen großen Teil der Bevölkerung ausmacht. Sie ist heterogen zusammengesetzt. Dazu gehören Teile der technischen Intelligenz, die aufgrund der unmittelbaren Einbindung der Wissenschaft in die Produktion viele ihrer Privilegien verloren haben und damit der Arbeiterklasse objektiv näher gerückt sind. Dazu gehören die vielen Solo-Selbstständigen, die formal Unternehmer sind, aber nur sich selbst ausbeuten. Dazu gehören selbst im Betrieb mitarbeitende Kleinunternehmer (Handwerker, Service-Dienstleister, usw.). Dazu gehören aber auch Teile des Kerns der Arbeiterklasse, die aufgrund hoher Einkommen einen kleinbürgerlichen Lebensstil und das dazugehörige Bewusstsein entwickelt haben.
Diese Menschen neigen dazu zu versuchen, aus einer selbstgewählten Distanz zur Arbeiterklasse einen vermeintlich höheren gesellschaftlichen Status zu gewinnen. Sie glauben innerhalb dieses Systems aufsteigen zu können, wenn nur einige Missstände beseitigt sind. Sie sind Träger vieler Protestbewegungen. Sie bilden aber auch einen wesentlichen Teil der Massenbasis des herrschenden monopolkapitalistischen Systems. Sie bilden objektiv auch die Basis für den Opportunismus innerhalb der Arbeiterklasse. (…)
Für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland ist es von herausragender Bedeutung, diese Menschen aus ihrer Bindung an das herrschende System herauszulösen und damit das Kräfteverhältnis zwischen den Hauptklassen – Arbeit und Kapital – zugunsten der Arbeiterklasse zu verändern. Den objektiv Lohnabhängigen unter ihnen muss deutlich werden, wo sie im Klassenkampf hingehören. Und den nichtmonopolistischen Bürgerlichen muss klar werden, dass ihre Interessen an der Seite der Arbeiterklasse besser aufgehoben sind als an der Seite der Monopole.
Sich dieser Aufgabe zu stellen ist entscheidend in dieser Situation – und im Hinblick auf die Diskussion des Leitantrages in Vorbereitung des 22. Parteitages. Notwendig ist es auch zu diskutieren, dass dazu eine wesentliche Voraussetzung gehört: Die Arbeiterklasse muss sich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen als stark und kämpferisch erweisen. Sie muss in der Lage sein, zumindest in einigen Feldern des Klassenkampfes Erfolge zu erringen und damit Druck auf das Kapital auszuüben und auszustrahlen. Nur dann kommt es zu einer Situation, in der sich andere Schichten, andere Bündnispartner aus der Umklammerung der Monopole lösen. (…)
Die Menschen müssen erkennen, dass die für die große Mehrheit der Menschen falsche und negative Entwicklung durch den gemeinsamen Kampf gebremst, aufgehalten oder sogar zeitweise zurückgedrängt werden kann. (…) Eine wichtige Funktion von Kommunistinnen und Kommunisten muss es sein, die Verbindung zwischen gesellschaftlichen Protestbewegungen und den Gewerkschaften herzustellen. Wenn es in den Gewerkschaften Gruppen gibt, die sich aktiv in Kämpfe um Abrüstung und Friedenssicherung, um eine angemessene Alterssicherung, um staatliche und demokratisch kontrollierte Daseinsvorsorge, um kommunalen Wohnungsbau etc. einbringen, kann sich daraus ein Zusammenwachsen des bürgerlichen Protestes mit der Arbeiterbewegung entwickeln. Bereits im vorliegenden Leitantrag, aber auch in den Beschlüssen des letzten Parteitags, haben wir wesentliche Kampffelder benannt, in denen wir nicht nur Abwehrkämpfe führen, sondern gleichwohl auch Klassenbewusstsein entwickeln können. Ich nenne Beispiele:
Personalbemessung
Der gewerkschaftliche Kampf um eine Mindestpersonalbemessung bei der Pflege in Krankenhäusern kann verbunden werden mit der Entwicklung gesellschaftlicher Initiativen zur Unterstützung dieses Kampfes, wie es sich zum Beispiel in dem entstandenen Hamburger Bündnis für mehr Personal in den Krankenhäusern abzeichnet. Dieser Kampf ist ein strategischer Kampf, denn die Frage der Pensumsbemessung gilt doch nahezu für alle Branchen. Gewinnen wir hier, dann hat das positive Ausstrahlung.
Frieden
(…) Die im Lissabon-Vertrag enthaltene Verpflichtung zur Erhöhung der Rüstungsausgaben wurde 2014 im Rahmen eines NATO-Gipfels konkretisiert. So sollen die Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des BIP bis zum Jahr 2024 gesteigert werden. Das macht nach heutigen Maßstäben eine Verdoppelung des Rüstungsetats auf 70 Milliarden Euro aus. Der Skandal hierbei ist doch nicht, dass dieses kaum in der Öffentlichkeit bekannt war. Der Skandal ist, dass mit angeblich leeren Haushaltskassen notwendigste Investitionen in Infrastrukturen und in die Systeme der sozialen Sicherheit verneint werden. Für die Rüstung haben sie Geld, für die Menschen dieses Landes nicht.
Deshalb war es gut, dass sich der DGB in Köln noch vor den Bundestagswahlen mit einem Appell „No 2 Percent“ an die Kandidierenden zum Bundestag gerichtet hat, diese Aufrüstung nicht mitzumachen. Nach meiner Einschätzung droht diese Aktion jetzt, nach der Bundestagswahl, wieder in Vergessenheit zu geraten. Daher sollten wir, die wir sowohl Teil der Friedensbewegung als auch der Gewerkschaften sind, genau diese Forderung „No 2 Percent“ zum Thema in unserem Wirkungskreis machen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass eine von der Friedensbewegung initiierte Unterschriftensammlung mit dieser Forderung breitestmögliche Unterstützung, insbesondere auch in den Gewerkschaften, findet. Hier könnten wir deutlich machen, dass Aufrüstung in Friedenszeiten zur Verschärfung der sozialen Situation beiträgt und nur den Profiten der Rüstungsindustrie dient. Hier stehen die Chancen nicht schlecht, Friedens- und Arbeiterbewegung in einem begrenzten Themenfeld zusammenzuführen und erfolgreich zu wirken. Ein Erfolg würde mindestens ein Sandkorn im Getriebe der Rüstungskonzerne und des Monopolkapitalismus darstellen.
Digitalisierung der Arbeit
(…) Es besteht die reale Gefahr, dass das Normalarbeitsverhältnis, also ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit vereinbarter Leistung, wöchentlicher Stundenanzahl und Vergütung, schrittweise abgelöst wird durch Werk- und Dienstleistungsverträge, bei denen der Auftraggeber Leistungen im Internet ausschreibt und diese Leistungen ebenfalls via Internet erbracht werden. Wenn diese Verfahrensweise um sich greift, sind die Auswirkungen sozialpolitisch und gesellschaftlich kaum mehr in den Griff zu bekommen.
Es sind unter anderem massive Verluste bei der Finanzierung der Sozialversicherung zu erwarten, mit der Folge eines weiteren und sich vergrößernden prekarisierten Teiles der Arbeiterklasse. Um dieses zu vermeiden muss unsere Forderung sein, die sogenannten Solo-Selbstständigen in die Sozialversicherung zu integrieren und die dafür notwendigen Kosten den Auftraggebern in Rechnung zu stellen.
Darüber hinaus wird die „Digitalisierung der Arbeit“ und die damit verbundene Arbeitslosigkeit die Frage nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden die Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf die Tagesordnung setzen. Dabei hat eine solche Arbeitszeitverkürzung nicht nur den Zweck, die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, sondern sie trägt auch zu einer Entlastung der Beschäftigten und damit zu Arbeits- und Gesundheitsschutz bei.
Outsourcing
Lediglich in 10 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe gibt es Betriebsräte. Der Anteil der Beschäftigten, die durch einen Betriebsrat vertreten werden, sinkt langsam, aber stetig. Und der Anteil der Beschäftigten, für die Tarife gelten, sinkt ebenfalls stetig. So gilt nur noch für rund 50 Prozent aller Beschäftigten ein Tarifvertrag. Ursache dafür ist der stetig wachsende Prozess der Ausgliederung von Produktions- und Verwaltungseinheiten, ist die Zergliederung der Unternehmen. Überwiegend finden tarifvertragliche Regelungen oder bisher bestehende Dienst- und Betriebsvereinbarungen spätestens nach Ablauf eines Jahres in den ausgegliederten Betriebsteilen keine Anwendung mehr. Das ist der Prozess der Tarifflucht. Die Ware Arbeitskraft wird billiger, der Profit steigt.
Diesem in allen Branchen stattfindenden Prozess wird, wenn überhaupt, nur durch die betroffenen Interessenvertretungen begegnet, und wenn es gut läuft, unterstützt durch die jeweiligen Gewerkschaften. Auf Seiten der Gewerkschaften ist eine branchenübergreifende Strategie gegen diese Praxis des Kapitals nicht erkennbar. Selbst wenn Gewerkschaften ein Kampf gegen dieses Outsourcing aufgezwängt wird, so scheitert dieser letztlich zugunsten von Besitzstandsregelungen. So geschehen beim Kampf von ver.di gegen die Neugründung von 43 DHL-Service-Centers, von der immerhin rund 7 000 Beschäftigte direkt betroffen waren.
Wir sollten viel selbstbewusster die in unserem Grundgesetz vorhandene Verpflichtung privatwirtschaftlichen Handelns für das Gemeinwohl in den Fokus rücken. Wenn dieses nicht mehr gegeben ist, und das kann mindestens hinsichtlich der Tarifbindung für die nur noch rund 50 Prozent Beschäftigten untermauert werden, dann ist die Frage einer Enteignung bei „angemessener“ Entschädigung auf die Tagesordnung zu setzen. Letztlich ist es das Kapital selbst, welches die Eigentumsfrage in den Gewerkschaften zur Klärung vorantreibt. Wir sollten es dabei kräftig unterstützen. Wenn im Ergebnis „nur“ eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen besteht, wäre das schon ein echter Sieg.
Rente/Armut
Der DGB und seine Einzelgewerkschaften haben im Bundestagswahlkampf die Forderung aufgestellt, einen Paradigmenwechsel von der Beitragsstabilität hin zu einer stabilen Rentenhöhe sicherzustellen, die derzeitige Höhe bei 47 Prozent festzuhalten und in kurzer Zeit auf 50 Prozent zu erhöhen. Selbst die SPD konnte sich im Wahlkampf dieser Forderung nicht entziehen. Doch große flächendeckende Aktionen, die Bildung von Bündnissen zum Beispiel mit den Sozialverbänden, gab es nicht. Stattdessen steht zu befürchten, dass der DGB keine weiteren Schritte unternimmt. Schließlich hat ja nun die Bundestagswahl stattgefunden.
Von der künftigen Bundesregierung, insbesondere unter Beteiligung der FDP, ist eine Erfüllung der Forderungen nicht zu erwarten. Stattdessen wird es ein weiteres Absinken des Rentenniveaus von heute rund 47 Prozent auf bis zu 43 Prozent bis zum Jahr 2030 geben. Vor dem Hintergrund der heutigen Einkommen bedeutet dies eine sich massiv vergrößernde Armut im Alter. Gleiches gilt schon für die Menschen, die heute unter den Hartz-IV-Gesetzen leiden. Weder ist die Höhe der Regelsätze menschenwürdig, noch haben die neuen Arbeitsformen in Form von Mini-Jobs, Befristungen und Teilzeit ein Auskommen mit dem Einkommen gewährleistet. Hartz IV muss weg.
Ich glaube, dass die Verknüpfung von Friedens- und Sozialpolitik bei den Themen „ No 2 Percent“ und Rente gelingen kann. Ich glaube, dass wir hier in den nächsten Jahren Erfolge erzielen können.
Ich will es bei Benennung dieser Themen belassen. Sie können aus meiner Sicht Dreh- und Angelpunkte für Schritte hin zu einer Wende für Frieden und sozialen und demokratischen Fortschritt sein. Gewinnen wir, gewinnt die Arbeiterklasse in einem dieser Bereiche ihre Kämpfe, hat das Einfluss auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse merkt, dass sie durchsetzungsfähig ist und mehr erreichen kann. Sie wird sich ihrer selbst und ihrer Kampfkraft bewusst. Sie entwickelt Ausstrahlung auf andere, um mit ihnen dann im Bündnis weitergehende Forderungen durchzusetzen.
Aber erst einmal heißt es: Stopp der Offensive des Kapitals. Und dafür brauchen wir zwingend eine größere, eine stärkere, eine eingriffsfähigere Partei.
(Das Referat „Der Leitantrag und die konkreten Handlungsorientierungen der DKP“ erscheint neben den weiteren Referaten der Konferenz ungekürzt auf news.dkp.de)