Fast alle Bundesländer verschärfen ihre Polizeigesetze

Schritt für Schritt zum Überwachungsstaat

Von Henning von Stoltzenberg

Henning von Stoltzenberg ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.

Das vor wenigen Tagen im Bayrischen Landtag verabschiedete Polizeiaufgabengesetz (PAG) stand in den letzten Wochen im Fokus öffentlicher Debatten. Von der CSU zum Wahlkampfthema erklärt, formierte sich allerdings in recht kurzer Zeit ein breitgefächertes gesellschaftliches Bündnis gegen die drastische Verschärfung der Gesetze. Rund 40 000 Menschen gingen in München auf die Straße, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen und das PAG zu verhindern. Dieser Protest war wichtig und ein starkes Zeichen auch in den Rest der Republik, doch verhindern konnte er die Verabschiedung nicht. Die parlamentarische Mehrheit der CSU sorgte letztlich dafür, dass das PAG mit 90 zu 68 Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen wurde.

Künftig dürfen Polizistinnen und Polizisten also einiges mehr als bereits zuvor schon, wenn es darum geht, vermeintliche Straftaten aufzuklären. Sie können nun Post öffnen, Ihr Konto sperren, per Staatstrojaner Nachrichten mitlesen, Wohnraum überwachen, ein Aufenthaltsverbot für die Innenstadt aussprechen, elektronische Fußfesseln anlegen oder faktisch unbegrenzte Präventivhaft verhängen. Dies alles wohlgemerkt, ohne dass eine Person rechtskräftig verurteilt wurde. Diese und andere Neuerungen machen das PAG zum repressivsten Polizeigesetz seit 1945. Möglich wird all das unter anderem durch den neu eingeführten Begriff der „drohenden Gefahr“. Es muss aus Sicht der Behörden nun keine „konkrete Gefahr“ einer Straftat vorliegen, sie muss nur drohen, könnte also eventuell schon erdacht sein oder auch nicht. Dieser mit voller Absicht absolut vage Begriff rechtfertigt ab dem 25. Mai das volle Eingreifen der Behörden. Damit wird die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt und alle Personen können jederzeit überwacht werden, um zu prüfen, ob auch ja keine „Gefahr droht“. Die CSU wäre nicht sie selbst, enthielte das neue Gesetz nicht auch Möglichkeiten weiterer Restriktionen gegen Geflüchtete und MigrantInnen. Die nun mögliche erweiterte DNA-Nutzung und -Speicherung soll zukünftig auch Aussagen über die Herkunft, das Alter sowie Augen- und Haarfarbe klären. Mit dieser Ausweitung auf die biogeografische Herkunft wird Racial Profiling bei Bedarf zum Standard.

Es ist aufgrund all dieser Ungeheuerlichkeiten nicht verwunderlich, dass zahlreiche Parteien und Verbände bereits Klagen angekündigt haben, um das PAG zu kippen oder wenigstens deutlich zu entschärfen.

Bayern ist allerdings nicht das einzige Bundesland, das seine Polizeigesetze verschärft. In allen Bundesländern mit Ausnahme Thüringens sind Neuerungen geplant oder wie im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg bereits durchgesetzt worden. Auch in Niedersachsen arbeitet die von SPD und CDU geführte Landesregierung an einem neuen Polizeigesetz (NPOG).

Neuerungen sind hier neben der erleichterten Telekommunikationsüberwachung, also dem Abhören von Telefon, Abfangen von E-Mails, Mitlauschen und -lesen von Chats und Messenger-Nachrichten, zum Beispiel der Umgang mit Polizeispitzeln. So wurde die Vorgabe komplett gestrichen, nach der Polizeispitzel, die im Verdacht stehen, im Zuge ihrer Tätigkeit eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen zu haben, nicht weiter eingesetzt werden dürfen. Zudem wird es möglich, solche ErmittlerInnen auch ohne richterliche Genehmigung einzusetzen. Elektroschock-Pistolen, sogenannte Taser, sollen zur obligatorischen Ausrüstung der Polizei gehören.

In Sachsen hat sich die CDU-SPD-Koalition bereits auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der nun von Verbänden geprüft und dem Landtag vorgelegt werden soll. Kernstücke sind die erweiterte Überwachung öffentlicher Räume inklusive eines 30 Kilometer langen Videokorridors für die Gesichtserkennung an der Grenze zu Polen und Tschechien sowie das Abhören oder Unterbrechen von Handyverbindungen. Dazu bekommt das Sondereinsatzkommando (SEK) zusätzliche Waffen wie Maschinengewehre, Gummigeschosse, Elektroschocker und Handgranaten.

Auch das schwarz-gelbe Nordrhein-Westfalen bastelt bereits fleißig an einem verschäften Gesetz. Hier wird unter anderem, neben der erleichterten Telekommunikationsüberwachung, die Präventivhaft von einem auf sieben Tage erhöht und es soll erlaubt sein, sogenannte „Gefährder“ mit Fußfesseln zu überwachen. Allgemein ist der Begriff des „Gefährders“ und der islamistische Terrorismus ein Totschlagargument aller Landesregierungen, um die Einschränkung der Grundrechte zu rechtfertigen. Und es ist zu befürchten, dass viele Menschen dieser Taktik auf den Leim gehen und sich aus Angst vor Anschlägen nicht gegen die zunehmende Überwachung oder die Militarisierung der Polizeibehörden stellen. Eine weitere Behauptung der Herrschenden ist, dass die Gesetze auch an die in diesem Monat in Kraft tretende Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) angepasst würden und die Daten des Einzelnen sicherer würden. Mag sein, nur nicht vor dem Zugriff staatlicher Behörden. Denn was ein „Gefährder“ ist, entscheiden die Herrschenden ebenso wie „drohende Gefahren“. Können AkteurInnen sozialer und linker Bewegungen nicht auch schnell zu „Gefährdern“ werden, von denen angeblich eine drohende Gefahr ausgeht? Was heute noch mit Islamismus begründet wird, kann morgen auch mit Massenprotesten, Streikbewegungen oder dem Widerstand gegen Diktaturen in anderen Teilen der Welt begründet werden. Die Gesetzverschärfungen betreffen die Bevölkerung im Allgemeinen und oppositionelle Kräfte im Besonderen. Sie engt den Spielraum für Kritik an den herrschenden Verhältnissen ein und ermöglicht dem Staat eine umfängliche Überwachung. Hiergegen brauchen wir plurale bundesweite Protestbewegung auf juristischer und politischer Ebene, um unsere politischen Spielräume und Grundrechte zu verteidigen.

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"Schritt für Schritt zum Überwachungsstaat", UZ vom 25. Mai 2018



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