Der bedeutende linke schwarze Autor und Aktivist James Baldwin wurde vor hundert Jahren, am 2. August 1924, in Harlem, New York, geboren. Sein Stiefvater David, ein Pfingstprediger, war Fabrikarbeiter und verdiente zu wenig, um seine elfköpfige Familie ausreichend zu versorgen. Seine Predigten veranlassten den Teenager Baldwin zunächst, Pfarrer zu werden. James’ Mutter Berdis aus den Südstaaten war als Hausangestellte tätig.
Die erste Begegnung des zehnjährigen James mit der Polizei öffnete ihm die Augen für die Realität des Rassismus. Während seiner Zeit an der Public School 124 in Harlem (mit der ersten schwarzen Direktorin, Gertrude Ayers) erkannte Orilla Miller, eine weiße Lehrerin und Kommunistin aus dem Mittleren Westen, Baldwins Potenzial. Miller führte ihn in die Literatur und das Theater ein, darunter „A Tale of Two Cities“ von Charles Dickens und das bahnbrechende Stück „Voodoo Macbeth“, inszeniert von Orson Welles mit einer rein schwarzen Besetzung. Diese Erfahrungen vertieften Baldwins literarische Leidenschaft, erweiterten seinen kulturellen Horizont und boten eine weltliche Alternative zu seiner religiösen Erziehung. Die „Harlem Renaissance“ spielte ebenfalls eine zentrale Rolle in der Entwicklung seines künstlerischen und intellektuellen Weltbildes.
Die Millers unterstützten die sozialistische Seite im Spanischen Krieg, nahmen Baldwin mit zu einer von der KPUSA organisierten Maidemonstration und hatten erheblichen Einfluss auf Baldwins politische Bildung. Durch sie lernte Baldwin, dass Rassismus bekämpft und Solidarität über Rassengrenzen hinweg aufgebaut werden konnte.
Solidarität statt Religion
Baldwins politisches Bewusstsein wurde weiter durch seinen Englischlehrer Abel Meeropol geprägt, einen Kommunisten und entschiedenen Antirassisten, Verfasser des Anti-Lynching-Liedes „Strange Fruit“. Die Adoption der Söhne der hingerichteten Kommunisten Ethel und Julius Rosenberg durch Meeropol fügte Baldwins Bewusstsein eine weitere Dimension hinzu. Darüber hinaus führte ihn seine Begegnung mit dem Künstler Beauford Delaney in die weltliche Tradition der schwarzen Musik ein, die seiner emotionalen Erfahrung künstlerischen Ausdruck verlieh.
Bis 1941 hatte Baldwin den christlichen Glauben verloren und lehnte die Autorität seines Vaters ab. Nach seinem Schulabschluss 1942 litt er unter finanziellen Schwierigkeiten und konnte sich kein Studium leisten. Doch aufgrund des Arbeitskräftemangels während des Krieges fand er Arbeit. Er nahm auch an einer Schreibwerkstatt teil, die von der Kommunistin Mary Elting geleitet wurde, und erhielt im Januar 1942 ein Stipendium von der League of American Writers, was seine Verbindung zur linken Politik festigte. Die Unruhen in Harlem 1943 und Baldwins Erfahrungen während dieser turbulenten Zeit befeuerten seine Radikalisierung weiter. Er trat der Young People’s Socialist League (YPSL) bei, bewegte sich durch verschiedene linke Lager und veröffentlichte Gedichte in der KP-Zeitung „Daily Worker“.
Auf der Suche nach einer Alternative zur repressiven US-Gesellschaft fühlte sich Baldwin von der kommunistischen Bewegung angezogen, insbesondere wegen ihrer antirassistischen Haltung und ihres Einflusses auf Schwarze, und erlebte die KPUSA als Zufluchtsort für junge schwarze Schriftsteller. Zwischen 1920 und 1950 fanden viele schwarze Intellektuelle, darunter Claude McKay, Langston Hughes und Richard Wright, hier ein politisches und künstlerisches Zuhause, obgleich einige wieder davon abrückten.
Flucht vor repressiven Verhältnissen
Nach verschiedenen Jobs fand Baldwin Arbeit am Rand der Verlagswelt, einschließlich einer Anstellung als Bote bei der progressiven Zeitung „PM”. 1944 nahm Baldwin an einem Theaterkurs an der New School teil, inspiriert durch die Renaissance des schwarzen Theaters. Baldwin glaubte, dass Literatur einen umfassenden Humanismus schaffen müsse, der individuelles Leiden auf eine kollektive Ebene erhebt, wie er es in seiner Lektüre von Shakespeare und Gorki erlebte. 1947 veröffentlichte Baldwin Rezensionen von Gorkis Werken und lobte dessen erweiterten Blickwinkel.
1946 erschütterte ihn der Suizid seines besten Freundes Eugene Worth zutiefst, was er später in seinem Roman „Another Country“ (1962, Eine andere Welt) reflektiert.
Diese prägenden Erfahrungen festigten Baldwins Engagement für soziale Gerechtigkeit und beeinflussten seine Entscheidung, im November 1948 nach Paris zu ziehen. Auf der Suche nach einer offeneren Umgebung für seine radikale Arbeit verließ Baldwin die repressiven Verhältnisse in den USA. In Paris fand er die Freiheit, seine Identität, einschließlich seiner Queerness, zu erkunden und die revolutionären Ideen zu artikulieren, die seine produktive Karriere als Schriftsteller und Aktivist prägen sollten. Der Umzug festigte sein Engagement für das Schreiben und führte zu bedeutenden Werken wie „Go Tell It On the Mountain” (1953, Gehe hin und verkünde es vom Berge / Von dieser Welt), „Notes of a Native Son” (1955, Von einem Sohn dieses Landes) und „Giovanni’s Room” (1956, Giovannis Zimmer). In den 1980er Jahren identifizierte er sich offen als schwul und arbeitete mit schwarzen Feministinnen zusammen, wobei er sowohl Imperialismus als auch weiße Vorherrschaftskonzepte kritisierte, einschließlich Rassismus, Sexismus und Homophobie.
Schwarzer Internationalismus
Baldwins Debütroman „Go Tell It On the Mountain“ schöpft aus seiner Kindheit in Harlem. Mit 24 Jahren veröffentlichte er einen Essay mit dem Titel „The Harlem Ghetto“, in dem er die Lebensbedingungen der Schwarzen kritisierte. Auf diese Weise wurde er Teil der schwarzen Protestliteratur. Der Aufstieg der Black Power und revolutionärer Gruppen gab ihm einen gewissen Optimismus in Bezug auf die Möglichkeiten einer Revolution in den USA.
Baldwins schriftstellerische Karriere umfasste Bestsellerromane, Essays, Theaterstücke und Artikel. Seine wichtigsten politischen Werke, wie „The Fire Next Time“ (1963, Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung) und „No Name in the Street“ (1972, Eine Straße und kein Name), wurden im Ausland verfasst und thematisieren internationale Fragen. Seine revolutionären Ideen wurden von einer unermüdlichen Kritik an der Gegenwart und einem Drang zur Veränderung der Welt befeuert.
In seiner Pariser Zeit wurde Baldwin auf die Kämpfe nordafrikanischer Flüchtlinge aufmerksam, wodurch er begann, globale Kämpfe als miteinander verbunden zu begreifen. Baldwins Bewusstsein für schwarzen Internationalismus richtete sich gegen die westliche imperiale Macht im Nahen Osten. Er war ein vehementer Befürworter der palästinensischen Selbstbestimmung, verstand Israel als Stellvertreter des westlichen Imperialismus und Palästinenser als unterdrückte Opfer. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die afro-arabische und afro-palästinensische Solidarität wiederbelebt, eine Tradition, die Baldwin maßgeblich beeinflusste. 2013 unterzeichneten über 1.000 schwarze Intellektuelle die Erklärung „Black for Palestine“ nach der Ermordung von Michael Brown durch die Polizei in Ferguson, Missouri, als Palästinenser Solidaritätserklärungen und Tipps für die Demonstranten über den Umgang mit Tränengas twitterten.
Von seinen frühen Begegnungen mit Kommunisten und anderen progressiven politischen Aktivisten wusste Baldwin, dass seine Erfahrung nicht auf Schwarze beschränkt war, sondern systemimmanent ist. Baldwin brachte diese Einsicht oft zum Ausdruck, bezog sie geopolitisch auf den Kolonialismus in Afrika, auf Südafrika und Palästina, zum Beispiel in einem späteren Brief von 1970 an die inhaftierte Angela Davis: „Weiße Leben sind für die Kräfte, die in diesem Land herrschen, nicht heiliger als schwarze, wie viele Studenten entdecken, wie die weißen US-amerikanischen Leichen in Vietnam beweisen.“
Antikolonialismus und kulturelles Erbe
Im September 1956 nahm Baldwin an der ersten Konferenz Negro-African Writers and Artists an der Sorbonne teil, gesponsert von der Négritude-Bewegung, einer literarischen, kulturellen und politischen Bewegung, die in den 1930er Jahren als Reaktion auf die französische Kolonialherrschaft und die entmenschlichenden Auswirkungen des Kolonialismus entstand. Sie wollte den Wert der schwarzen Kultur und des Erbes zurückerobern, eine kollektive schwarze Identität und Solidarität in der afrikanischen Diaspora fördern. Diese Bewegung, angeführt von Persönlichkeiten wie Frantz Fanon, Léopold Sédar Senghor und Aimé Césaire, war bestrebt, das kulturelle Erbe der afrikanischen Diaspora zu vereinheitlichen, ähnlich wie die Bandung-Konferenz von 1955.
Die Jahre 1957 bis 1962 waren für Baldwin entscheidend, als er zu einem Internationalisten wurde. Seine Erfahrungen mit der Bürgerrechtsbewegung und der Brutalität des französischen Kolonialismus, insbesondere während des Algerienkrieges, verstärkten sein Verständnis von internationalem Rassismus und Staatsterror. Diese Periode umfasste bedeutende Reisen, das Schreiben und ein vertieftes Interesse an Islam und antikolonialen Kämpfen.
Seine zunehmende Aktivität und Verbindung zu schwarzen internationalistischen Strömungen in den 1960er Jahren kulminierten darin, dass der Redakteur des „New Yorker“, William Shawn, Baldwin einlud, über Afrika zu schreiben, begleitet von einer Einladung aus Israel, was Baldwins Denken in neue Richtungen lenkte und zu einem Buch über Afrika mit Israel als Prolog führte.
Baldwins Besuch in Israel entfernte ihn weiter von einer westlichen Perspektive hin zu einem antiimperialistischen Internationalismus, indem er dieses Land als Schachfigur im Nahen Osten betrachtete, geschaffen, um westlichen imperialistischen Interessen zu dienen. Internationale Ereignisse wie der Vietnamkrieg und der Sechstagekrieg Israels brachten Baldwin mit dem SNCC (Student Nonviolent Coordinating Committee – Studentenkoordinierungsausschuss für gewaltfreie Aktionen) und den Black Panthers in Einklang, da er diese Konflikte als Ausdruck von US-Imperialismus und Rassismus verstand.
An der Seite der Black Panther
Baldwin war wegweisend darin, den US-Rassismus zu entlarven und Parallelen zu internationalen Kämpfen zu ziehen. Sein Essay „What Price Freedom?“ in der Zeitschrift „Freedomways“ verband den US-Rassismus mit seinen imperialistischen Aktionen im Ausland und kritisierte die US-Idee einer durch Gewalt erzwungenen „Freiheit“ Baldwins Werk hob zunehmend die Ähnlichkeiten zwischen der Behandlung von Schwarzen und kolonialen Untertanen hervor. Bis 1968 war Baldwin eng mit der Black Panther Partei verbunden. Er unterstützte ihre Gemeinschaftsprogramme und ihre Haltung gegen Polizeigewalt und sah sie als Herausforderung für den repressiven US-Staat.
„No Name in the Street“ artikuliert Baldwins antikapitalistische und antiimperialistische Haltung in der Ablehnung des Vietnamkrieges, der Apartheid in Südafrika und des israelischen Siedlerkolonialismus. Der Text drückt Solidarität mit den Befreiungsbewegungen aus und prognostiziert eine sozialistische Zukunft. Seine Beziehung zu Bobby Seale von der Black Panther Partei unterstrich sein Engagement für den langfristigen antikolonialen und antiimperialistischen Kampf.
Zwischen 1968 und 1972 verbrachte Baldwin viel Zeit außerhalb der USA, zunächst in der Türkei und Frankreich, nach traumatischen Ereignissen wie der Ermordung von Martin Luther King Jr. In dieser Zeit beendete er seine Beziehung zu seinem Partner Alain und in Verbindung mit dem türkischen Militärputsch von 1971 und seiner sich verschlechternden Gesundheit beschloss er, dauerhaft nach St. Paul-de-Vence in Frankreich zu ziehen und dort ein Haus zu kaufen.
Im Oktober 1973, nach der Unterstützung Israels durch die USA während des „Oktoberkrieges“ gegen Ägypten und Syrien, übte Baldwin seine schärfste öffentliche Kritik am Zionismus und sprach sich deutlich für die Rechte der Palästinenser aus. Er betonte die Schaffung Israels als Mittel zur Kontrolle der Araber und verurteilte die westlichen Mächte dafür, Israel und Vietnam zur Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen.
Die Reagan-Regierung mit ihrer unerbittlichen Haltung zu Themen wie HIV/AIDS verstärkte Baldwins Verzweiflung und Wut über die USA. Baldwin erhielt 1978 die Ehrendoktorwürde der Universität Massachusetts und wurde dort 1983 ein Distinguished Fellow. Er setzte seine Arbeit als politischer Journalist und Autor fort, produzierte seinen einzigen Gedichtband „Jimmy‘s Blues” (1983) und seinen letzten Roman „Just Above My Head“ (1979, Zum Greifen nah).
In seinem Essay „Open Letter to the Born Again“ von 1979 verurteilte Baldwin den westlichen Antisemitismus und drückte seine Solidarität mit der palästinensischen Selbstbestimmung aus, kritisierte das zionistische Projekt und dessen kolonialistische Wurzeln.
Gegen Ende seines Lebens suchte Baldwin nach einer Neudefinition von Geschlechts- und Rassenidentitäten. Als Anfang 1987 bei ihm Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, verbrachte Baldwin die verbleibende Lebenszeit in seinem Haus in St. Paul-de-Vence und starb 63-jährig am 1. Dezember 1987.