Zu einem Buch des Verlegers und Autors Heinz Freiberg „Ich schreibe“

Schreiben als gemeinsamer Prozess

Von Rüdiger Bernhardt

Heinz Freiberg

Ich schreibe … Erstes Buch

Edition Freiberg

Dresden 2018, 156 S., 8,50 Euro

Es ist ein unscheinbares Buch im Querformat, einem dicken Schulheft ähnlich. Es ist ein Buch, das keine Lobby hat, aber das eine literarische Welt dokumentiert, in der viele Menschen zu Hause sind. Deshalb soll es vorgestellt werden, zumal es ein aufschlussreiches Buch für das historisch richtige Erinnern dessen ist, was heute unter die Decke von stilisierten Leidensgeschichten verdrängt wird. Es ist auch ein Buch des Erinnerns, das mancher wortreichen und pompösen Dokumentation korrigierend begegnen kann, und es ist eine hilfreiche Dokumentation für die soziale Wirkung von Literatur: Das beginnt beim Autor Heinz Freiberg, der in der Bewegung schreibender Arbeiter der DDR groß wurde, dort als Journalist wirkte und einen Traum vom Schreiben verfolgte, ein Schreiben – das Wichtigste bei diesem Vorgang – nicht nur privat, sondern ein Schreiben als gemeinschaftlicher Prozess. Das war Freibergs Schreibmethode als Volkskorrespondent, als Betriebs- und Lokalredakteur und bei den schreibenden Arbeitern in Gräfenhainichen, wo die Braunkohleförderung das Leben bestimmte. Heute erinnern daran Seen in den ehemaligen Tagebauen und das Industriedenkmal Ferropolis. Heinz Freiberg ist ein Journalist und schreibender Arbeiter, der die erlebten und erfahrenen gemeinsamen literarischen Erlebnisse so verinnerlicht hat, dass er sie auf anderer Ebene als Verleger, Autor und literarischer Berater aktuell fortgeführt hat. Der Bitterfelder Weg, der „einst kraftvoll und voller Hoffnung beschritten wurde und zweifelsohne ein besonderes Kapitel der DDR-Literaturgeschichte darstellt“ – so Freiberg 2007 – ist für ihn begehbar geblieben.

Er hatte Wesentliches bei schreibenden Arbeitern und in den Zirkeln, besonders einem erfolgreichen in Zschornewitz, ebenfalls im Braunkohlegebiet gelegen, erfahren und begriffen. Das ist in seine Arbeit im Verlag Edition Freiberg eingegangen. Dort legt er großen Wert auf diese Traditionen: Sein Rundbrief an die Autoren 2018 steht im Zeichen Bertolt Brechts, der im Februar 2018 seinen 120. Geburtstag hatte. Brecht ist der Anlass für eine weitere Anthologie des Verlages, die 2018 unter dem Brecht-Motto „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“ erscheinen soll. Diese Anthologien sind in diesem Verlag Tradition; auch über sie gibt das vorliegende Buch Auskunft.

Der Bezug zu den schreibenden Arbeitern setzt sich im Titel des Buches „Ich schreibe“ fort, der Freibergs eben genannte Tätigkeit wie eine Formel bedient. Dieser Titel hat in der Literatur der DDR eine eigene Tradition, die diese Literatur von anderen unterscheidet: Das „Ich schreibe“ ist keine Metapher, sondern der Hinweis auf eigenes Schreiben. Auf den ersten Seiten erklärt der Verfasser den Titel als Programm und als Dokument, denn er gab einer Zeitschrift den Namen, die drei Jahrzehnte die Bewegung der schreibenden Arbeiter dokumentierte und begleitete: „Ich schreibe. Zeitschrift für die schreibenden Arbeiter“ (1959–1989). In ihr ist das literarische Leben der DDR aus der Perspektive der sozialen Wirklichkeit der schreibenden Arbeiter nachzulesen; bis heute hat sich noch kein „Unrechtshistoriker“ gefunden, der diese Zeitschrift als sozialistisches Unterdrückungsinstrument entlarvt hätte.

In zehn Kapiteln stellt Freiberg seine Arbeit und die seines Verlages vor: Vorworte, Huldigungen, Kolumnen, Leserbriefe usw. Manches davon ist Spielerei (Anagramme, Flugblätter u. a.), aber warum nicht – Literatur soll auch unterhalten, manches Erinnerung an die erfolgreiche Zeit der schreibenden Arbeiter (Porträts), vieles der Versuch, Literatur als Lebenshilfe zu verwenden wie der eröffnende Brief einer Autorin: „Durch den Druck meiner Gedichte und Geschichten haben Sie mein Leben verlängert.“

An Vorworte zu den Verlagspublikationen wird erinnert, zu denen auch eine zum 500. Geburtstag Katharina von Boras, eine zu Else Lasker-Schüler, eine zu Mascha Kaléko und eine zu Heinrich Heine gehörte, um die Themenweite Freibergs anzudeuten. Daneben finden sich Vorworte zu Schüler-Anthologien wie „Immer wieder blüht der Kirschbaum. Träume, Ängste und Visionen junger Leute aus Gera“.

Ganz im Stile früherer „Werkstattwochen“ der schreibenden Arbeiter führt der Verlag Autorentreffen durch, deren erstes 2007 im ersten deutschen Buchdorf Mühlbeck-Friedersdorf stattfand. Inzwischen wird das 12. Treffen im Herbst 2018 in Dresden vorbereitet.

Das Buch ist ein Dokument des gemeinschaftlichen Schreibens und zielstrebigen Wirkens durch Literatur. Deshalb muss es vorgestellt werden, zumal es in der sogenannten seriösen Presse keine Aufmerksamkeit findet – eine Ausnahme ist eine Regionalausgabe für Wittenberg und Jessen der „Mitteldeutschen Zeitung“, die dem Buch mit „Witzig und ein Hauch Luther“ seinen Reiz abgewinnt. Aber es ist ein wichtiges Dokument einer besonderen Art des Wirkens durch und mit Literatur: Literatur als sozialer Faktor, der Dokumentation, der Information und der Unterhaltung, bei einem möglichst großen Anteil der Selbstbeteiligung. Freiberg arbeitet an einem zweiten Band, der noch 2018 erscheinen soll, und ein dritter ist für 2019 geplant.

Dem Buch liegt eine Losung bei: „Am Ende schreibt man doch immer nur für sich selbst.“ Am Anfang aber, das macht Freiberg deutlich, ist sein Schreiben und das, was er seinen Autoren empfiehlt, das Gespräch und die Verständigung über Literatur in der Gemeinschaft. Das war ein Grundsatz in den Zirkeln schreibender Arbeiter.

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"Schreiben als gemeinsamer Prozess", UZ vom 10. August 2018



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