Als Reaktion auf die Freigabe westlicher Raketen für den Beschuss von Zielen in Russland setzten dessen strategische Streitkräfte am 21. November zum ersten Mal die Mittelstreckenrakete „Oreschnik“ ein. Es war offenbar auch das erste Mal überhaupt, dass diese Teilstreitkraft aktiv in einen Krieg eingriff, auch wenn die Rakete von einer Versuchsbasis aus gestartet wurde. Der Chef der strategischen Streitkräfte, Sergej Karakajew, erklärte jedenfalls, diese Rakete könne „Ziele auf dem ganzen Gebiet Europas angreifen, was sie vorteilhaft von anderen Arten hochpräziser Waffen großer Reichweite unterscheidet“.
Die Bedeutung dieser Reaktion wird im Westen verschwiegen oder heruntergespielt. Allerdings erklärte zum Beispiel der Generalinspekteur der Bundeswehr Siegfried Breuer am 29. November in einem NDR-Interview, es sei im Westen klar gewesen, dass es auf den Einsatz der US-ATACMS-Raketen durch Kiew am 19. November eine Antwort geben würde, aber die „Oreschnik“ sei „wahrscheinlich so nicht erwartet worden“. Die Rakete sei ein „deutliches Signal in Richtung Westen: Wir können euch überall erreichen.“ Breuer, der als Erfinder des Übergangs von „Verteidigungsfähigkeit“ zur „Kriegstüchtigkeit“ als Auftrag der Bundeswehr gilt, nannte erneut das Jahr 2029, in dem diese in der Lage sein müsse, einen möglichen russischen Angriff abwehren zu können.
Die Vorbereitungen darauf laufen auf Hochtouren – weitere Eskalation offensichtlich einkalkuliert. Dazu gehören neben der in der vergangenen Woche vorgestellten Bunker-App Dutzende Rüstungsbeschaffungsanträge im Umfang von jeweils mehr als 25 Millionen Euro, die noch in diesem Jahr vom Haushaltsausschuss des Bundestages verabschiedet werden sollen. Dabei geht es um Panzer aller Art, Flugabwehrsysteme, Fregatten und U-Boote. So bekräftigte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der Kauf von vier weiteren neuen U-Booten für mehr als 4,5 Milliarden Euro sei unverzichtbar. Er hoffe deswegen, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages dem Vorhaben am 4. Dezember (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ) zustimmen werde. Er sagte das bei einem Besuch im norwegischen Marinestützpunkt Haakonsvern, wo der Grundstein für ein geplantes deutsch-norwegisches Instandsetzungszentrum für U-Boote gelegt wurde.
Voraussetzung für „Kriegstüchtigkeit“ ist auch der „Aufwuchs“ der Bundeswehr. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, erklärte Breuer in der ARD-Sendung „Maischberger“, müsse von jetzt etwa 200.000 auf 460.000 plus 100.000 Reservisten erhöht werden. Dazu benötige man die Wehrpflicht.
An erster Stelle beim Übergang zum Kriegszustand steht aber die weitere Aufrüstung Kiews. Am vergangenen Montag bemühte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew, um sozusagen persönlich ein im Oktober angekündigtes Waffen„paket“ im Umfang von etwa 650 Millionen Euro abzuliefern. Er verkündete dabei: „Das sage ich heute hier in Kiew ganz deutlich an die Adresse Putins: Wir haben einen langen Atem. Und wir werden an der Seite der Ukraine stehen, so lange wie das nötig ist.“ Im kommenden Jahr soll es nach seinen Worten mit Militärhilfe so weitergehen. Am letzten Samstag hatte Scholz noch auf einer SPD-„Wahlsiegkonferenz“ in Berlin erklärt, der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche „Taurus“-Lieferung ein Ultimatum stellen. Er sage dazu: „Vorsicht: Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch-Roulette.“ Mit der Doppelstrategie soll es durch den Wahlkampf gehen.