Der alte SPD-Traum, etwas Sozialismusähnliches mit Hilfe des Imperialismus zu schaffen, wird verwirklicht. Jedenfalls auf dem Papier. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete am Montag in der „FAZ“ in einem Gastbeitrag: „Die Europäische Union ist die gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie.“ Daher laute „die wichtigste Antwort Europas auf die Zeitenwende: Geschlossenheit”. Im Stil eines Autokraten diktierte Scholz: „Nationale Vetos, etwa in der Außenpolitik, können wir uns schlicht nicht mehr leisten, wenn wir weiter gehört werden wollen in einer Welt konkurrierender Großmächte.”
Das Verbot von Meinungsverschiedenheiten will der SPD-Kanzler mit gleichem Imperialismus-Schwung auf die Welt ausweiten. Während Putin sich mit „einer imperialistischen und revanchistischen Machtpolitik”, die „neokoloniale Züge” trage, auf Ukraine und Osteuropa begrenze, bräuchten „wir“ eine „neue globale Kooperation der Demokratien – und zwar über den klassischen Westen hinaus”. Insbesondere gehe es um den „globalen Süden”. Das Problem: Dort sehen die meisten Staaten Imperialismus und Neokolonialismus vorwiegend oder sogar ausschließlich bei EU, NATO und Co. Man hat mit ihnen reichlich Erfahrung.
Von Geschlossenheit der EU kann momentan auch keine Rede sein. Scholz verkündete in seinem Besinnungsaufsatz, dass die Sanktionen, komme was wolle, weitergehen, denn „bei einem russischen Diktatfrieden wird keine einzige dieser Sanktionen aufgehoben“. Demgegenüber erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, es gebe eine „große Debatte“ darüber, ob die Sanktionen wirklich effektiv waren und ob sie den EU-Staaten nicht mehr geschadet hätten als Russland. „Einige Anführer“ seien der Meinung, die Sanktionen seien ein Fehler gewesen. Das war höflich ausgedrückt. Am vergangenen Freitag hatte AFP den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zitiert: „Zuerst habe ich noch gedacht, wir haben uns ins Knie geschossen. Aber die europäische Wirtschaft hat sich selbst in die Lunge geschossen und ringt nun nach Luft.“
Orbán hat seit Tagen mit Demonstrationen gegen die Inflation zu tun, aber auch andere Länder betonen die Zweifel. So sprach der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg angesichts der sich abzeichnenden Energiekrise über eine „zunehmende Debatte in Europa über Sanktionen“. Folgerichtig einigten sich die EU-Außenminister am Montag nicht auf eine siebte Sanktionsrunde gegen Russland und brachten nur einen Importstopp für Gold auf den Weg.
Bei der Kriegsverlängerung war die Einigkeit dann wieder da: Zum fünften Mal seit Februar bewilligte die EU 500 Millionen Euro für Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte. Kiew äußerte keine Freude über die insgesamt 2,5 Milliarden Euro, sondern forderte umgehend mehr Geld. Am Montag berichtete dpa, ein Berater des Präsidialamtes habe höhere internationale Überweisungen gefordert, sonst dauere es bis zu einer Finanzkrise nur noch ein oder zwei Monate.
Gleichzeitig suspendierte Präsident Wladimir Selenski Geheimdienstchef Iwan Bakanow, die Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa und 28 weitere Mitarbeiter des Geheimdienstes. Selenski, Bakanow und Wenediktowa kennen sich im privaten Geldabzweigen aus: Ihre Namen waren im Oktober 2021 in den sogenannten Pandora-Papers aufgetaucht, in denen Geldverstecke in Steueroasen aufgelistet wurden. Selenski berichtete nun von 651 Verfahren wegen Landesverrats und von 20 Sicherheitsbeamten, die in besetzten Gebieten mit Russland zusammenarbeiten. Gleichzeitig wurde bekannt, dass immer wieder Ukrainer Positionen der eigenen Truppen verraten. Der Militärgouverneur der Region Nikolajew hat laut dpa vom Montag umgerechnet 100 Euro Kopfgeld für die Ergreifung von Artilleriebeobachtern ausgelobt.