Ermittlungen im Cum-Ex-Komplex werden systematisch torpediert

Scholz in Erklärungsnot

Die Luft wird dünn für Bundeskanzler Olaf Scholz. Durch neue Tatsachen im Cum-Ex-Komplex, die nicht mehr weggeschwiegen werden können, gerät er in Erklärungsnot. Bei den Cum-Ex-Aktiengeschäften schoben in fein abgestimmter Reihenfolge Investoren Wertpapiere mit Ausschüttungsanspruch so um den Dividendenstichtag herum, dass je Aktie die Kapitalertragssteuer mehrfach durch die getäuschten Finanzämter erstattet wurde. Der Steuergesamtschaden wird auf etwa 10 Milliarden Euro geschätzt.

2016 informierten Steuerermittler die Hamburger Finanzbehörde, dass sich das alteingesessene Bankhaus Warburg aus Cum-Ex-Geschäften Steuererstattungen von rund 47 Millionen Euro illegal verschafft hatte und die Verjährung der Rückforderung dieser Gelder bevorstehe. Die Emissäre der Bank suchten den Kontakt zu Hamburgs damaligem Bürgermeister Olaf Scholz. Nach mehreren Vorsprachen im Rathaus, darunter ein Treffen am 10. November 2017, ließ die Hamburger Finanzverwaltung die Millionenrückforderung auf wundersame Weise verjähren.

Während Warburg-Chef Christian Olearius sich mithilfe seines Tagebuchs an alle Treffen detailliert erinnern konnte, bestritt Olaf Scholz diese zunächst, um dann nach und nach unter dem Druck der Beweislage die Termine doch einzuräumen, wobei er sich an Anlass und Themen der Besprechungen nicht mehr erinnern könne. Seine Angaben zum Treffen am 10. November 2017 könnten Scholz jetzt zum Verhängnis werden.

Scholz hatte sich zur Rekonstruktion seiner fehlenden Erinnerung mehrfach auf einen Eintrag in seinem Kalender gestützt. Laut der Büroleiterin von Scholz, Jeanette Schwamberger, gab es diesen Eintrag im Kalender indessen nicht. In einer dem Magazin „Stern“ vorliegenden E-Mail schreibt sie, sie habe im Oktober und November 2017 „nie“ ein solchen Eintrag gesehen („Das ist alles merkwürdig…“). Scholz, der sich bekannterweise an nichts Konkretes erinnern kann, erinnert sich an den Termin mithilfe eines Kalendereintrages, der aber gar nicht existierte. Widersprüchlicher geht’s nicht.

Auch die Antwort der Bundesregierung vom 28. September auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“ spricht Bände: „Vorgänge im Zusammenhang mit einem Kalendereintrag zu diesem Treffen sind im Einzelnen nicht mehr rekonstruierbar.“ Olearius steht als früherer Miteigentümer der Warburg-Bank seit dem 17. September wegen Steuerhinterziehung in Höhe von rund 280 Millionen Euro selbst vor Gericht. Bei der Staatsanwaltschaft Köln, die mit über 30 Staatsanwälten und 150 Ermittlern den größten Steuerhinterziehungs-Komplex seit Bestehen der Bundesrepublik juristisch bewältigen soll, sind mittlerweile 120 Verfahren mit etwa 1.700 Beschuldigten eingeleitet worden. In der Anklage gegen Olearius fällt 27 Mal der Name Olaf Scholz, eine Spende von 13.000 Euro der Warburg-Bank an die Hamburger SPD wird auch erwähnt. Olearius bestreitet und beruft sich auf die vermeintliche Legalität der von ihm verantworteten Transaktionen. Zentraler Baustein seiner Verteidigung ist dabei, dass die Hamburger Finanzverwaltung und die Senatsspitze, also Bürgermeister Scholz und Finanzminister Tschentscher, seine Vorgehensweise unterstützt, zumindest aber gebilligt haben.

In diesem Verfahren steckt noch viel Zündstoff, da mit Sicherheit zu erwarten ist, dass Tschentscher und Scholz als Zeugen geladen werden. Kein Wunder, dass hinter den Kulissen versucht wird, weitere Ermittlungen zu torpedieren. Die bislang von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker geleitete Ermittlungsgruppe hat durch Verfahren gegen die Ex-Chefs der Deutschen Bank Anshu Jain und Josef Ackermann und die Durchsuchung im Frankfurter Büro des Finanzgiganten Morgan Stanley im Mai unter Beweis gestellt, dass sie ohne Skrupel auch die letzte Verästelung des Milliardenbetrugs aufzuklären bereit ist. In einem ARD-Interview spricht sie von einer weiteren Ermittlungsdauer von fünf Jahren. Vor einer Woche sickerte der Plan des grünen NRW-Justizminister Benjamin Limbach durch, die Kölner Fahndungsgruppe hinter dem Rücken von Brorhilker, die ihre Leitungsfunktion verlieren soll, aufzuspalten. Originalton Limbach: „Es ist für einen zuviel.“ Die Schützenhilfe Limbachs für den von den Ermittlungen bedrängten Scholz stieß behördenintern auf unerwartet heftigen Widerstand. Selbst der von Limbach weisungsabhängige Kölner Generalstaatsanwalt stellte sich quer. Limbach knickte mittlerweile ein. Oberstaatsanwältin Brorhilker emittelt weiter, auch zu den „Ungereimtheiten in den Aussagen von Olaf Scholz“, wie es in einem Ende Semptember geleakten internen Aktenvermerk heißt.

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"Scholz in Erklärungsnot", UZ vom 13. Oktober 2023



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