Frankreich und Deutschland streiten darüber, wie die Energiekrise zu bewältigen ist

Scholz im Alleingang

Das Arbeitstreffen von Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz am 26. Oktober 2022 in Paris verlief angeblich in „herzlicher Atmosphäre“. Doch weshalb nur wollte Macron im Anschluss daran nicht vor die Kamera treten und warum ließ er die gemeinsame Pressekonferenz im Elysée platzen? Die vereinbarte Einsetzung von Arbeitsgruppen zu Energie, Rüstung und Verteidigung beschreibt da schon ehrlicher den gegenwärtigen Stand der deutsch-französischen Beziehungen, denn es gelang bei dem Treffen nicht, die Kontroversen beizulegen.

Man redet schlecht übereinander. Macron beschuldigt Deutschland der Selbstisolation, worauf Scholz erwidert, man verhalte sich eben wie Frankreich. Doch es ist eine Tatsache, dass die deutsche Krisenpolitik keine Rücksicht auf die Interessen Frankreichs und anderer EU-Länder nimmt. Vor allem der Scholzsche „Doppelwumms“ – das heißt die kurzfristige Finanzhilfe für Bürger und Unternehmen in Deutschland von nicht weniger als 200 Milliarden Euro – hat Ärger in der EU ausgelöst, denn die anderen, wirtschaftlich schwächeren Länder können sich solche Hilfspakete nicht leisten. Deren Unternehmen müssen vielmehr die hohen Gas- und Stromkosten weitgehend allein schultern, so dass sie gegenüber der deutschen Konkurrenz im offenen EU-Binnenmarkt weiter zurückfallen. Frankreich, aber auch Italien, Spanien, Portugal und andere Länder befürworten vielmehr einen gemeinsamen europäischen Schuldenfonds, wie er zur Bewältigung der Corona-Krise mit dem 700 Milliarden Euro schweren „Next-Generation EU“-Programm aufgelegt wurde. Doch das würde endgültig den Einstieg in Eurobonds – in eine gemeinsam garantierte Schuldenaufnahme der EU – bedeuten. Mit einem Finanzminister Lindner ist das jedoch nicht zu machen. Dementsprechend hat sich Scholz bereits festgelegt: ein solcher Schuldenfonds zur Bewältigung der Energiekrise kommt nicht in Frage.

Streit gibt es auch über den von der EU-Kommission befürworteten Preisdeckel für Gasimporte in die EU. Diesen lehnt Berlin strikt ab, befürchtet man doch, dass dann weniger Gas nach Deutschland geliefert wird, da sich die Förderländer weltweit nach solventeren Kunden umsehen werden. Und Deutschland kann sich ja stark überhöhte Preise leisten. Bereits in diesen Sommermonaten hatten deutsche Energieunternehmen astronomisch hohe Summen für Gas gezahlt und so den Weltmarkt leergekauft. Andere EU-Länder konnten dabei nicht mithalten. Selbst den in Spanien und Portugal bereits praktizierten Preisdeckel für Gas, das zur Stromproduktion genutzt wird, lehnt die Bundesregierung ab. Befürchtet wird, dass dadurch die Gasnachfrage steigen könnte, so dass für den deutschen Markt weniger zur Verfügung steht. Offen ausgesprochen wird das natürlich nicht, und so trägt der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck lieber ökologische Gründe vor: Die Produktion von Strom mit Hilfe von Gas sei generell verwerflich, da sie nur zu einem Mehrverbrauch fossiler Energie führe, nur ein hoher Gaspreis könne das verhindern. Die aber durch einen Preisdeckel möglich werdende Absenkung hoher Strompreise für private Verbraucher und Unternehmen interessiert Habeck nicht.

Für Macron war es daher leicht, die beiden iberischen Länder, aber auch Italien, das auf einen gemeinsamen europäischen Schuldenfonds angewiesen ist, auf seine Seite zu bringen. Deutschland wird hingegen nur von relativ kleinen Ländern wie Dänemark und Österreich unterstützt. Die Diagnose Macrons, dass sich Deutschland gegenwärtig in der EU isoliert, trifft daher zu.

Die Gegensätze in der aktuellen Krise zeigen wieder einmal den wirklichen Charakter der EU. Sie ist ein notdürftig zusammengehaltenes Zweckbündnis, an dessen Erhalt und Weiterentwicklung die Mitgliedsländer immer nur so weit interessiert sind, wie es ihren eigenen nationalen Interessen nützt. Die schöne Forderung nach „einer immer engeren Union“ ist nur etwas für Sonntagsreden.

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"Scholz im Alleingang", UZ vom 4. November 2022



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