Zur Grundsatzrede des Bundeskanzlers in Prag zur EU-Erweiterung

Scholz auf Wolke 36

Es sei die lang erwartete Grundsatzrede zur strategischen Positionierung der EU gewesen, die der Bundeskanzler am Wochenende in Prag abgeliefert hat. Nun, sicher angesichts der desaströsen Lage, in welche die US-hörige, kriegsgeile und russophobe „Elite“ der EU den Kontinent gebracht hat, wäre eine nüchterne Erörterung der bisherigen Kriegs- und Sanktionsstrategie dringend geboten. Die Russische Föderation ist durch den Sanktionsblitzkrieg ebenso wenig zu „ruinieren“ wie durch die massiven NATO-Waffenlieferungen an einem militärischen Erfolg zu hindern. Im Gegenteil. Während in Russland die Staatseinnahmen sprudeln, die Preise für Energie und Lebensmittel eher sinken als steigen, stehen Millionen Bürger der EU-Länder vor der Frage: Hungern oder Frieren oder beides?

Doch der Kanzler wusste nichts Besseres als die alten Konzepte in einer erweiterten und militarisierteren Form zu wiederholen, die Europa genau in den Selbstruin geführt haben, den wir jetzt bestaunen dürfen. Scholz will eine Osterweiterung der EU um die Staaten des Westbalkans, plus Ukraine, plus Moldawien und Georgien. Ihm schwebt eine EU mit bis zu 36 Mitgliedern vor. Als besitze die bisherige „EU 27“ nicht schon genug Sprengstoff. Einmal ganz davon abgesehen, wie eine Ukraine nach dem Ende des Konfliktes aussehen könnte und wie hoch der Fremdfinanzierungsbedarf des dann entstehenden Gebildes zu beziffern wäre (gegenwärtig 7 bis 8 Milliarden Dollar pro Monat), so scheint die Obsession, mit den EU- und NATO-Strukturen an die russische Grenze vorrücken zu wollen, jegliche rationale Überlegung zu verdrängen.

Man wolle sich, so Scholz, dort, wo Europa verglichen mit dem Silicon Valley, Shenzhen, Singapur oder Tokio zurückliege, „an die Spitze zurückkämpfen“. Es gehe um „eine neue Generation von ‚Microchips made in Europe‘“, um „Netz- und Speicher-Infrastruktur“, ein „europäisches Wasserstoffnetz“, „klimaneutrale Kraftstoffe für den Flugverkehr“ und ähnliche ambitionierte Vorhaben. Er wolle „ein Europa, das Vorreiter“ sei „bei wichtigen Schlüsseltechnologien“. Das seien Schritte hin zu „europäischer Souveränität“. Was Scholz zu vergessen scheint, seine Regierung ist gerade dabei den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ nachhaltig zu ruinieren, Millionen Menschen in die Armut und tausende von kleinen und mittelständischen Unternehmen in die Pleite zu treiben. Europa steht nicht vor einem Aufbruch, sondern vor einer schweren Rezession.

Scholz wäre nicht Scholz, wenn er „europäische Souveränität“ nicht letztlich militärisch definieren würde. Natürlich soll, nach Meinung der Ampel, von deutschem Boden wieder Krieg ausgehen. Ihre 100-Milliarden-Investition ins Militär soll die Bundeswehr endlich wieder voll einsatzfähig machen. Man möchte doch zu gerne dabei sein, wenn die großen Jungs herumballern. Das Afghanistan-Desaster steckt Berlin noch mächtig in den Knochen. Eine militarisierte EU braucht selbstredend eine „schnelle EU-Eingreiftruppe“ und ein „europäisches Luftverteidigungssystem“, eine „ständige EU-Kommandozentrale und mittelfristig ein echtes EU-Hauptquartier“. Natürlich unter deutscher Führung. Der Kanzler möchte mit seiner EU-Armee ganz offensichtlich dort gewinnen, wo die US-Armee längst verloren hat. Wenn es nicht so teuer und menschenverachtend wäre, könnte man es getrost als Comedy-Gag sehen. Statt ernsthafter Analyse und klarer Konzeption hat Olaf Scholz ein weiteres Wolkenkuckucksheim geboten. Die Menschen in Deutschland, Europa können sich eine solche postfaktische Regierung schlicht nicht leisten.

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"Scholz auf Wolke 36", UZ vom 2. September 2022



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