Ein Höhepunkt deutscher Staatskunst ist die Schuldenbremse. Sie wurde am Mittwoch vergangener Woche vom Bundesverfassungsgericht vor dem Untergang in die Lächerlichkeit gerettet. Das Gericht entschied, die Finanzplanung der Regierungskoalition sei fehlerhaft, damit ungültig und widerspreche den Bestimmungen der 2009 ins Grundgesetz eingefügten Schuldenbremse. Der Bund darf sich nach dieser Bestimmung jährlich nur zu 3 Prozent neu verschulden. Die Länder und Gemeinden haben gar keinen Spielraum.
Geklagt hatte in Karlsruhe die Opposition. Es ging um einen der immer häufiger werdenden Umgehungstatbestände. Die Ampel-Regierung hatte Anfang 2022 übriggebliebene Mittel (60 Milliarden Euro) aus einem Corona-Sondervermögen in ein neues Sondervermögen verschoben, heute Klima- und Transformationsfonds genannt, aus dem vier Jahre lang 212 Milliarden Euro an Zuschüssen für die „Energiewende“, neue Heizungen, Stahlerzeugung mittels Wasserstoff, neue Chipfabriken und die alte Deutsche Bahn ausgeschüttet werden sollten. An diese Sondervermögen haben sich die Regierungen und die Regierten als geeignetes Mittel im Umgang mit der Schuldenbremse gewöhnt. Diese Sondervermögen sind zwar nichts anderes als genau jene sprunghafte Erhöhung der Nettoverschuldung, die die Schuldenbremse eigentlich vermeiden sollte. Aber sie sind im Text der Verfassungsänderung als Ausnahmeregelung ausdrücklich vorgesehen. Der erste größte Ausnahmetatbestand wurde anno 2009 praktisch gleichzeitig zusammen mit der Schuldenbremse vom Hohen Haus mit satter Zweidrittelmehrheit beschlossen. Es war der bis dato mit 480 Milliarden Euro überhaupt größte Fonds, den die Bundesrepublik je beschlossen hatte, und war dazu da, die deutschen Banken in der weltweiten Finanzkrise zu retten. Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie die aus Union und SPD bestehende Regierung priesen in perfekter Scheinheiligkeit schon damals die tolle Sparregel sowie die klugen Methoden, sie zu umgehen.
Die hohe Zeit der Sondervermögen setzte mit der Corona-Seuche ein. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz kreierte ein Sondervermögen nach dem anderen, um das durch die Lockdowns erzwungene Absacken der Wirtschaftstätigkeit zu kompensieren und sich an der unter der Tourismusflaute leidenden Lufthansa zu beteiligen. Auch Bundesländer schufen sich Sondervermögen und die EU durfte anfangen, neben denen der Einzelstaaten eigene Schulden zu machen. Am 27. Februar 2022 hielt Scholz dann jene berüchtigte „Zeitenwende“-Rede. Sie machte den Weg frei für das Sondervermögen Aufrüstung à 100 Milliarden Euro, zum Wirtschaftskrieg mit Russland und zum Umstieg von der Einfuhr preiswerten Erdgases aus Russland zu teurer Energieeinfuhr. Der Finanzbedarf war ungeheuer. Der „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ der großen Koalition aus dem Corona-Jahr 2020 bekam nun den neuen Zweck, die Folgen der Energieteuerung für Bürger und Unternehmen abzufedern und wurde zum „Doppelwumms“ (O. Scholz) von 200 Milliarden Euro ausgebaut. Für den für langfristige Investitionen in die Energiewende gedachten Klima- und Transformationsfonds waren noch besagte 60 Milliarden Euro aus der Corona-Zeit übrig, die elegant, aber fehlerhaft umgewidmet wurden.
Die Begründung der Umwidmung und zeitlichen Streckung sei ungenügend, urteilte das Verfassungsgericht jetzt. Es hat vollkommen recht. Ein Hauch von eigener Begründung muss diesen Sondervermögen schon beigegeben werden, verlangt es. Die Schuldenbremse würde dadurch als Instrument des Haushaltsrechts nicht weniger verrückt. Die marktradikale Mehrheit des Parlaments aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP hat sich eine Routine von Sondervermögen/Schattenhaushalten kreiert, die der Regierung sogar neue Verschuldungsspielräume schafft und nur die Politik des kleinsten gemeinsamen rechten Nenners zur Finanzierung zulässt.