In seiner Osteransprache vom 11. April hielt Bundespräsident Walter Steinmeier die Bevölkerung zum Lernen an: „Die Welt (nach Corona) wird eine andere sein. Wie sie wird? Das liegt an uns! Lernen wir doch aus den Erfahrungen, den guten wie den schlechten, die wir alle, jeden Tag, in dieser Krise machen.“
Die seit 25 Jahren auf dem Gebiet des Medizinrechts tätige Rechtsanwältin Beate Bahner aus Heidelberg hatte zum Zeitpunkt der Ansprache Steinmeiers ihre Lektion gerade gelernt. Nachdem sie am 8. April einen auf 34 Seiten ausführlich begründeten Antrag auf Aussetzung der Freiheitseinschränkungen durch die baden-württembergische Corona-Verordnung beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eingereicht sowie zeitgleich auch das Bundesverfassungsgericht angerufen hatte, erhielt sie schon am Folgetag Post. Allerdings nicht vom Gericht, sondern vom Heidelberger Kommissariat K6. Sie stehe im Verdacht, sich gemäß Paragraf 111 Strafgesetzbuch (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) schuldig gemacht zu haben. Warum? Sie hatte auf ihrer Website dazu aufgerufen, am Ostersamstag bundesweit gegen die Suspendierung der Grundrechte zu demonstrieren. Auch der von ihr publik gemachte Hinweis, „Bitte zeigen Sie die Demonstration gemäß Paragraf 14 Absatz 1 Versammlungsgesetz zuvor bei Ihrer zuständigen Behörde an“, schützte sie weder vor der Anschuldigung noch davor, dass ihre Internetseite vom Staatsschutz über Ostern vom Netz genommen wurde. Am Karfreitag schließlich wurde auch ihr Antrag vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.
Diese Entscheidung reiht sich ein in eine Vielzahl ähnlicher Rechtssprüche der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, die in den letzten drei Wochen landauf, landab erlassen wurden. Die Fälle, in denen Kundgebungen von den örtlichen Instanzen in den letzten Wochen genehmigt worden sind – stets unter strengen Auflagen –, lassen sich an einer Hand abzählen, wie die vom Verfassungsgericht Schwerin erlaubte „Ostermarschkundgebung“ oder der Ostermarsch zum Fliegerhorst Jagel. Mit welchem juristischen Maß jeweils gemessen wird, ist indes nicht mehr nachvollziehbar.
Die Grundgesetzgarantien sind durch die Corona-Landesverordnungen und das Infektionsschutzgesetz auf Bundesebene außer Kraft gesetzt. Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. So wurde in Frankfurt am Main neben dem Ostermarsch auch der Motorradkorso der antifaschistischen Biker-Vereinigung „Kuhle Wampe“ zu Ostern verboten, obwohl hier sicherlich eine Verletzung der Abstandsregeln nicht zu befürchten war. Am Wochenende zuvor war bereits die „Seebrücke“-Demonstration gewaltsam aufgelöst worden. In einer Presseerklärung der DKP Frankfurt vom 11. April heißt es hierzu: „Das Vorgehen der Polizei gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist ein doppelter Skandal. Einmal, weil Stadt und Polizei demokratische Grundrechte mit Füßen treten, und zum anderen, weil die gewaltsame Auflösung der Aktion jeden Verweis auf Corona Lügen straft.“
Innerhalb eines Monats sind an die 100 Bundes- und Landesgesetze sowie Rechtsverordnungen in Kraft getreten, die das Herz eines jeden Ordnungspolitikers höher schlagen lassen und bei den bürgerlichen Parteien immer weitere Begehrlichkeiten wecken: Von der flächendeckenden Überwachung und Echtzeitortung der „Risikopersonen“, über eine direkt dem Bundesinnenministerium unterstellte zentrale Katastrophenbehörde bis zu den kruden Fantasien des grünen Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer vom „neuen Generationenvertrag, bei dem die Jüngeren arbeiten gehen, die Infektion auf sich nehmen, während die Älteren und Kranken auf soziale Kontakte verzichten“.
Angesichts der momentan faktisch nicht mehr vorhandenen Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gehört die Stunde jenen, die gleichwohl den Protest organisieren. Durch den auf die Straße getragenen Widerstand von Angehörigen der Heil- und Pflegeberufe in Düsseldorf gegen das „Infektionsschutz- und Befugnisgesetz“ sind auch die Verfassungsjuristen aus ihrer Schockstarre erwacht. Die in Paragraf 15 Infektionsschutzgesetz NRW vorgesehene Zwangsverpflichtung des medizinischen und pflegerischen Personals zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen halten die beiden Staatsrechtprofessoren Hinnerk Wißmann und Ulrich Vosgerau für klar verfassungswidrig: „Das ist einfach absolut verboten.“