In den Verhandlungen über den Tarif für den öffentlichen Dienst der Länder zeigen die „Arbeitgeber“, welche Schlüsse die Regierungen aus der Pandemie ziehen: Seit mindestens 20 Jahren sind sie nicht derartig aggressiv gegen die Forderungen der Beschäftigten aufgetreten. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) fordert, den Paragrafen zum Arbeitsvorgang zu ändern – und damit die Grundlage, auf der die Beschäftigten eingruppiert werden. Vor allem an Unikliniken reagieren die Beschäftigten mit Warnstreiks.
„Die Finanzminister haben einen Nerv der Beschäftigten getroffen“, berichtet Jonas Schwabedissen, Krankenpfleger an der Essener Uniklinik. Dort haben die Beschäftigten vor drei Jahren viele Wochen für Entlastung gestreikt. Bei normalen Tarifrunden lief die Mobilisierung dagegen schleppend. Diesmal sei es anders, sagt Schwabedissen: „Wir sehen, wie wenig Geld gerade in den unteren Lohngruppen bei uns ankommt – trotz Klatschen und Corona-Prämien. Wir wissen, wofür der Staat in der Pandemie Geld hatte – und jetzt erzählen sie uns, wir seien von Corona nicht mehr besonders belastet.“
Bereits zu Beginn der Verhandlungen hatte der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) für die TdL verkündet, die Krise während der Pandemie zwinge die Länder zu „strukturellen Einsparungen“, es sei „klar“, dass die „Personalkosten daran einen Anteil“ haben müssten. Er bestritt, dass die Inflation starke Lohnerhöhungen rechtfertige und bemühte die Legende der „Lohn-Preis-Spirale“.
Für diese Woche hat ver.di bundesweit zu Warnstreiks aufgerufen. Die wirksamsten und stärksten Streiks sind an den Unikliniken zu erwarten. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) regelt die Löhne für 1,1 Millionen Beschäftigte der Bundesländer (mit Ausnahme Hessens, das kein TdL-Mitglied ist und einen anderen Tarifvertrag geschlossen hat). Außerdem könnte er auf 1,4 Millionen Beamte und eine Million Versorgungsempfänger übertragen werden.
Die TdL hat beim zweiten Verhandlungstermin am 1. und 2. November kein Angebot vorgelegt. Sie will die Gewerkschaften dazu bringen, den Begriff des Arbeitsvorgangs anders zu bestimmen. Bisher richtet sich die Eingruppierung der Beschäftigten danach, was im tatsächlichen Arbeitsvorgang von ihnen erwartet wird. Die TdL will die Regeln so ändern, dass einzelne Tätigkeiten gesondert bewertet werden – und damit erreichen, dass Beschäftigte niedriger eingruppiert werden können, wenn eine sogenannte einfache Tätigkeit einen großen Teil ihrer Arbeit ausmacht.
Die Bestimmung des Arbeitsvorgangs im TV-L ist dieselbe wie im Tarif für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen (TVöD). Im Grundsatz ähnelt das Verfahren in vielen weiteren Tarifen der Regelung in TV-L und TVöD. Die Frage des Arbeitsvorgangs ist damit eine Frage, die für die Gewerkschaften grundsätzliche Bedeutung hat – es ist nicht damit zu rechnen, dass die ver.di-Führung bereit ist, an diesem Punkt nachzugeben.
Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 27. und 28. November geplant. Nach den Warnstreiks in dieser Woche ist damit zu rechnen, dass ver.di in den kommenden zwei Wochen zu weiteren, auch mehrtägigen Streiks und größeren Demonstrationen in den Landeshauptstädten aufrufen wird. Jonas Schwabedissen sieht in der Provokation der TdL auch eine Chance: Es sei möglich, Kollegen für gewerkschaftliche Aktionen zu gewinnen, die noch nicht oder nicht mehr aktiv waren. „Dieser Konflikt wird vielen Kollegen zeigen, als was die Arbeitgeber uns behandeln: Als Lohnsklaven.“