Unbeeindruckt von internationaler Kritik hält der türkische Präsident Erdogan an seinem Repressionskurs fest. Nach der Verhaftung des Chefredakteurs der renommierten Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ und weiterer führender Redakteure ist mittlerweile auch der Herausgeber des Blattes in Haft gekommen. Akin Atalay ist direkt am Atatürk-Flughafen in Istanbul abgeführt worden, als er dort aus Deutschland eintraf.
Wie die türkische Journalistenvereinigung TGC meldet, sind seit dem Putschversuch am 15. Juli 170 türkische Medien geschlossen und 105 Journalisten festgenommen worden. 777 Presseausweise wurden für ungültig erklärt. Vor allem die „Cumhuriyet“-Macher sind dem autoritären Präsidenten ein Dorn im Auge, war es doch diese Zeitung, die über immer neue Korruptionsaffären des Erdogan-Clans berichtet sowie illegale Ölgeschäfte mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ und Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamistische Terrorgruppen in Syrien enthüllt hatte. In einer Wutrede im Fernsehen hatte der türkische Staatschef im vergangenen Jahr den verantwortlichen Redakteuren eine gnadenlose Verfolgung angedroht – konkret dem damaligen Chefredakteur Can Dündar und dem Büroleiter in Ankara, Erdem Gül. Beide wurden mittlerweile zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Berufungsverfahren läuft noch, Dündar selbst lebt im deutschen Exil.
Im Zuge des Gegenputsches zur Errichtung eines auf Erdogan und seine islamistische AKP zugeschnittenen Führerstaates sind mittlerweile 35 000 Menschen verhaftet worden. Zehntausende weitere wurden ohne Verfahren aus dem Staatsdienst entlassen, allen voran Lehrer, Staatsanwälte, Richter und Armeeangehörige. Während der große Coup gegen Andersdenkende, kritische Journalisten und die politische Opposition, an erster Stelle die prokurdische HDP, mittlerweile aber auch die sozialdemokratische CHP, international immerhin noch für Schlagzeilen sorgen, findet das Bereichungsprogramm Erdogans kaum Erwähnung. Still und leise sind in der Türkei seit Mitte Juli per Notstandsdekret Tausende Firmen mutmaßlicher Gülen-Anhänger enteignet, verstaatlicht oder verkauft worden, ist aus der „Stuttgarter Zeitung“ (28. Oktober 2016) zu erfahren. „Erdogan und seine AKP füllen sich so die Kassen“, so die Schlussfolgerung. Bei der staatlicherseits durchgeführten „Umverteilung“ geht es um gewaltige Summen. Laut dem Berliner „Tagesspiegel“ (25.10.16) hat das Erdogan-Regime seit dem gescheiterten Putsch Geld, Grundstücke und Unternehmen im Wert von Hunderten Millionen Euro verstaatlicht. Das so gewonnene „Vermögen schafft politische Macht“.
Nachdem die Regierung in Ankara am 1. September eine entsprechende Anordnung erlassen hat, wurden rund 300 Unternehmen durch die türkische Bankenaufsichtsbehörde übernommen. Erdogans Notstandsdekret ist so weitreichend, dass Firmen, denen Unterstützung des Predigers Fethullah Gülen – einem langjährigen Weggefährten des Präsidenten, der aber für den Putschversuch im Juli verantwortlich sein soll – vorgeworfen wird, nach Belieben verkauft oder liquidiert werden können. Rechtsmittel dagegen gibt es nicht – es herrscht ja weiter Ausnahmezustand. Der Erlös fließt offiziell in die Staatskasse.
Erdogan stellt das Rechtsstaatsprinzip auf den Kopf: Nur wenn der enteignete Unternehmer irgendwann einmal seine Unschuld beweisen kann, soll er daran beteiligt werden, „doch damit ist angesichts des Vorgehens der Justiz kaum zu rechnen“, so der „Tagesspiegel“. Auf mindestens zwölf Milliarden Euro wird der Wert der Unternehmen geschätzt, die der Bankenaufsicht allein im September und Oktober überschrieben wurden.
Insgesamt 4 482 Firmen und Institutionen sind seit dem gescheiterten Putschversuch verstaatlicht worden, erklärte der türkische Finanzminister Naci Agbal in der mittlerweile regierungsnahen Zeitung „Sabah“. Dazu gehören 35 Kliniken und Krankenhäuser, 2 380 Privatschulen und 709 Nachhilfeschulen, 1 156 Vereinsheime, 15 Universitäten, 31 Gewerkschaftssitze, 64 Sender und 92 Zeitungen. Deren Gebäude und Grundstücke wurden dem Staat überschrieben, zusammen 7,2 Millionen Quadratmeter. Darüber hinaus wurden Bargeld und Wertpapiere im Wert von fast 150 Millionen Euro beschlagnahmt, nicht mitgerechnet das Privatvermögen inhaftierter Staatsanwälte und Richter. Erdogans Finanzminister Agbal tönt: „Damit wird dem Volk zurückgegeben, was dem Volk genommen worden ist.“ Die Argumentation ist insofern beachtlich, als es doch gerade die AKP-Regierung und Erdogan waren, die in den vergangenen Jahren gegen den „Etatismus“ gewettert und ein weitreichendes Privatisierungsprogramm vorangetrieben hatten.
Die von Enteignung betroffenen Unternehmen, darunter der Boydak-Konzern und die Kaynak-Gruppe, gehen denn auch davon aus, dass sich „nun Freunde der Regierungspartei AKP auf gute Schnäppchen und Sonderkonditionen beim Kauf traditionsreicher Firmen freuen können“ („Tagesspiegel“). Mit dem so zusammengeklauten Geld sichert sich der starke Mann am Bosporus letztlich Gefolgschaft zur Errichtung des Präsidialsystems, mit dem die Macht vollkommen auf seine Person und Partei konzentriert wird. Eine Gefolgschaft, die am Ende weit über persönliche Profiteure hinausreicht. Und weil es kaum noch kritische Pressehäuser gibt, regt sich kein Widerspruch.